Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hueter Der Macht

Hueter Der Macht

Titel: Hueter Der Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
flüsterte sie und blickte ihm in die Augen, »und ich bete zur Jungfrau Maria, dass es bald sein wird, wird eine Hure dir die Seele stehlen… Nein! Du wirst sie ihr auf einem silbernen Tablett darreichen! Du wirst die ewige Verdammnis in Kauf nehmen, wenn du dadurch ihre Liebe erringst!«
    Nun war es an Thomas, stumm dazustehen, ebenso erstaunt über die Hure, wie die Frauen zuvor über ihn gewesen waren.
    Ihr Gesicht und ihre Stimme, ihr ganzes Auftreten hatten etwas Aufrechtes, wenn nicht gar Adliges an sich gehabt.
    Noch immer vor sich hinmurmelnd, wandten die Frauen sich ab. Zwei von ihnen halfen ihrer jüngeren Gefährtin, als sie sich mühsam auf den Weg machte.
    Thomas blickte ihnen nach, und ein Schauder durchlief ihn.
    Verfluchtes Weib!
    Er nahm seinen Eimer, der umgekippt auf dem Kopfsteinpflaster lag, und blickte die Straße entlang.
    Mehrere der Huren, die in der Nähe standen, wandten ihm den Rücken zu.
    Thomas seufzte und rieb sich die Augen. Wie hatte er nur so leicht die Beherrschung verlieren können? Warum hatte er seiner Vergangenheit gestattet, in die Gegenwart einzubrechen?
    Was hatte er getan?
    Der Fluch kümmerte ihn nicht weiter – das war nur das Gefasel eines erbärmlichen Weibes –, doch seine eigenen Worte und Taten konnte Thomas nicht übergehen.
    Er war ein Narr gewesen. Schlimmer noch, er war ein überheblicher Narr gewesen. Die Frau traf keine Schuld, denn ihre Worte waren lediglich die Stimme Gottes gewesen, der ihn auf die Probe stellte.
    Und Thomas hatte versagt, wie schon so oft.
    Er zwang sich, seine aufsteigenden Tränen zu unterdrücken und seine Verzweiflung nicht zu zeigen, sammelte seine Lappen ein, hob den Eimer auf und verbrachte den Rest des Nachmittags im Armenhaus, wusch den Insassen die Füße und richtete freundliche Worte an sie, die er den Huren hätte zuteil werden lassen sollen.
    Als er ins Kloster zurückgekehrt war, warf sich Thomas vor dem Altar der Kapelle auf den Boden und betete zum heiligen Michael um Vergebung. Er hatte in seiner Buße versagt – die Füße der Armen zu waschen war zwar auch tugendhaft, doch es war nicht seine Aufgabe gewesen –, und er fürchtete, dass der Erzengel ihn nicht mehr länger für wert halten könnte, die vor ihm liegende Mission zu erfüllen.
    Und dennoch stahl sich während dieser langen Nacht vor dem Altar immer wieder die Erinnerung an die festen, spitzen Brüste der Hure in Thomas’ Gedanken zurück. Sie hatten ihn verlockt, und entsetzt über diese Verlockung hatte er viel zu heftig darauf reagiert. Wie konnte der heilige Michael immer noch wollen, dass er in Gottes Auftrag handelte?
    »Bitte, heiliger Michael«, betete Thomas immer wieder. »Vergib mir, vergib mir, vergib mir…«

Kapitel Fünf
     
    Donnerstag in der Karwoche
    Im einundfünfzigsten Jahr der Regentschaft Eduard III.
    (8. April 1378)
     
     
     
    Am Nachmittag des 8. April 1378, dem Feiertag des heiligen Kallistus, einem einstmaligen Papst, und dem Donnerstag der Karwoche gingen die Kardinäle ins Konklave, um noch vor den Feierlichkeiten der kommenden Osterwoche ihren neuen Heiligen Vater zu wählen.
    Das geschah weder in einer gelösten noch ruhigen Atmosphäre.
    Die Kardinäle waren von Päpsten ins Amt berufen worden, die in Avignon lebten, und die meisten von ihnen waren entweder Franzosen oder Männer, die mit der französischen Monarchie eng verbunden waren.
    Auch wenn sie es öffentlich leugneten, unterstanden dem französischen König mehr als dem Papst.
    Die Kardinäle wollten einen Mann wählen, der sie aus der sumpfigen, krankheitsverseuchten und verfallenen Stadt Rom zurück in das kultivierte und zivilisierte Avignon brachte. Doch sie sahen sich gezwungen, das zu tun, was das mordgierige römische Volk von ihnen verlangte: einen braven Italiener zu wählen, der seinen Sitz in Rom beibehalten würde.
    Die Kardinäle ließen sich nicht gern erpressen. Andererseits bezweifelten sie, dass sie Rom lebend verlassen würden, wenn sie nicht taten, was das Volk wollte.
    Es war nun an Jean de la Grange, dem Bischof von Amiens, der für das Konklave nach Rom gekommen war, einen möglichen Ausweg aus der Situation zu finden. In den Tagen vor dem Konklave eilte Bischof Grange von einem Gemach zum nächsten, fiel auf die Knie, um den Kardinalsring zu küssen, der ihm entgegengestreckt wurde, und redete eindringlich mit seinem Besitzer.
    Den Kardinälen gefiel, was er zu sagen hatte.
     
     
    Der Donnerstag der Karwoche zog kühl und klar herauf,

Weitere Kostenlose Bücher