Hueter Der Macht
doch er hatte abgelehnt, und der Führer war mit einem wissenden Grinsen davongegangen.
Hinter den Karren liefen Etienne Marcel, Johann Biermann, die ebenfalls nicht fahren wollten, und Thomas selbst. Ihnen folgten weitere Führer, die die Pferde mit den verbundenen Augen führten – Thomas konnte ihr nervöses Schnauben hören und gelegentlich das Klappern von Hufen, wenn ein Pferd fehltrat und nach einem Halt suchte –, und hinter diesen kamen die Wachen, die vor und hinter Marcoaldis wertvollem, beladenem Packpferd liefen, und die restlichen Pferde mit ihren Führern.
Während der ersten Stunde war der Weg nicht sonderlich gefährlich oder furchterregend. Der Pfad führte an der Ostseite des Passes entlang, auf der rechten Seite ragten schwarze Felsen in den wolkenverhangenen Himmel und fielen auf der linken Seite in bodenlose, dunstige Tiefen ab. Auf dem Pfad befanden sich hin und wieder Flecken geschmolzenen Schnees, doch sie fanden guten Tritt, und solange Thomas immer geradeaus blickte, konnte er unbesorgt weitergehen.
Nur wenn er Marcoaldis finstere Miene sah, wenn sich ihre Blicke trafen, gelang ihm das nicht so gut.
Johann redete unentwegt auf Thomas ein, vor allem, um ihm zu erklären, wie schwierig und schreckenerregend der Weg später noch werden würde.
»Und morgen erst«, ereiferte er sich an einer Stelle, »denn wir müssen heute Nacht auf dem Pass unser Lager aufschlagen. Seht Ihr, ein Mann muss sich seinen schlimmsten Ängsten stellen und sie überwinden, wenn er überleben will.«
»Ich muss zugeben, dass mich deine Fröhlichkeit überrascht, Johann. Du siehst den kommenden Gefahren doch sicher mit Furcht entgegen, oder nicht?«
»Nun, ja, aber zugleich freue ich mich auch darauf.« Johann wies auf die Berge, die aus dem frühen Morgendunst und den Wolken auftauchten. »Ich liebe die Gefahr, das Rasen meines Herzens und das erhabene Gefühl, wenn es mir gelungen ist, meine Furcht zu bezwingen.«
Thomas wollte Johann gerade darauf hinweisen, dass er angesichts der Todesgefahr lieber um die Errettung seiner Seele beten sollte, doch in diesem Moment begegnete er Marcoaldis Blick und hielt den Mund.
Hätte er dem Bankier, der immer noch um den Verlust seines Bruders trauerte, nicht lieber Trost spenden sollen, anstatt ihm eine Predigt darüber zu halten, was es bedeutete, dass sein Bruder ohne letzte Beichte gestorben war?
Und wie konnte er Johann zurechtweisen, wenn er selbst sich einst voller Freude in die Gefahren der Schlacht gestürzt hatte?
Doch den einstigen Mann gab es nicht mehr. Er war jetzt Bruder Thomas und zu seinen Pflichten gehörte es, die Seelen der Schwachen zur Erlösung zu…
»Thomas«, sagte Marcel und legte ihm freundlich die Hand auf die Schulter, »Ihr schaut viel zu düster drein. Natürlich liegen Gefahren vor uns, aber es bleibt immer noch genügend Zeit für ein Lächeln und einen gelegentlichen Scherz. Meint Ihr nicht?«
Thomas fragte sich, ob er tatsächlich zu düstere Gedanken hegte, doch dann dachte er an die Aufgabe, mit der der Erzengel Michael ihn betraut hatte, und das stimmte ihn noch viel düsterer. Nach einer Weile ließen Marcel und Johann ihn in Ruhe, und so stiegen sie schweigend zum Pass hinauf.
Als der Morgen weiter fortgeschritten war, war Thomas zu sehr damit beschäftigt, auf den Weg zu achten, als sich über die Sünden seiner Gefährten und seine Zweifel, ob er das Böse bekämpfen konnte, weiter Gedanken machen zu können. Der Pfad war zunehmend immer gefährlicher geworden, so allmählich, dass Thomas es kaum bemerkt hatte, und nun verstand er, warum die meisten Reisenden sich vor dem Brennerpass fürchteten.
Der Pfad, der sich an die Felswand schmiegte, wurde immer schmaler und war nun kaum mehr eine Armlänge breit – die Karren vor ihm hingen die meiste Zeit mit einem Rad über dem Rand –, außerdem neigte er sich in einem gefährlichen Winkel dem Abgrund entgegen. Thomas musste sich mit der rechten Hand an der Felswand festhalten und den linken Arm ausstrecken, um das Gleichgewicht zu halten.
Kleine Bäche geschmolzenen Eises, die an der Felswand herabliefen, machten das Vorwärtskommen noch gefährlicher. Der Boden war schlüpfrig geworden und so unterspült, dass Steine und mitunter große Teile des Weges beim Betreten ins Rutschen gerieten, während die Männer angstvoll aufschrien, sich an die Felswand klammerten und zu Gott und allen Heiligen beteten, derer sie sich erinnern konnten.
Die Pferde hatten trotz der
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