Hüter der Macht
für bare Münze zu nehmen.
Da hielt sie sich doch lieber an Sandro, von dem sie ein viel genaueres Bild über den Feldzug gegen Lucca erhielt. Ihr Freund hatte mittlerweile seine Arbeit an den samstäglichen Vorsprechtagen im Palazzo der Medici in der Via Larga aufgenommen. Und dabei kam ihm durch seine direkte Nähe zu Cosimo, Lorenzo und Averardo so manches schon früh zu Ohren, was erst viel später die Runde durch Florenz machte.
»Ser Cosimo ist überzeugt davon, dass der Krieg gegen Lucca in einer Katastrophe enden wird. Und da er jetzt zum Rat der Zehn gehört, weiß er, wovon er redet«, hatte ihr Sandro an einem der Sonntage gesagt. Und Tessa sollte später noch oft daran denken, wie treffend Sandros Herr die Lage eingeschätzt hatte und in welchem Umfang sich seine Worte bewahrheiten sollten.
6
J etzt darf Albizzi ernten, was er gesät hat!«, höhnte Averardo, der zum Palazzo der Medici gekommen war, um mit seinem Cousin Cosimo die jüngste Entwicklung der Lage zu erörtern.
Sandro Fontana saß als stiller Beobachter bei ihnen und blickte von einem zum anderen. Diesmal hörte er nicht als heimlicher oder zufälliger Lauscher zu, wie sich die beiden Cousins offen über das Scheitern von Albizzi austauschten. Cosimo persönlich hatte ihn eingeladen, sich zu ihnen zu gesellen. Längst war er sich der Loyalität und Verschwiegenheit von Sandro sicher.
Das Oberhaupt der mächtigen Familie Medici hatte tatsächlich in jedem Punkt recht behalten, was den Kriegsfeldzug gegen Lucca betraf, der, das konnte man mit Fug und Recht behaupten, auf ganzer Linie gescheitert war.
Auch nach der erfolgreichen Bestechungsaktion des Mailänder Gegners war es nicht zum Frieden mit Lucca gekommen, denn Siena, der Erzfeind von Florenz, hatte die Gelegenheit genutzt und unternahm Überfälle auf Dörfer und Landgüter, die zum Herrschaftsgebiet von Florenz gehörten. Zu allem Übel verbündeten sich Genua und der Papst mit Mailand und der Herzog schickte einen neuen Condottiere in den Krieg, der sich als unbestechlich erwies. Ein nächtlicher Sturmangriff der Florentiner Truppen gegen Lucca endete in einer Katastrophe, da die Luccheser die Ebene rund um die Stadt fluteten und die Söldnertruppen fliehen mussten. Rinaldo degli Albizzi, der durch den Feldzug gegen Lucca seine Macht in Florenz ausbauen wollte, scheiterte kläglich und gab schließlich zermürbt und verbittert auf, was ihm unzählige Vorwürfe einbrachte. Er wurde nicht müde, die Medici anzuklagen und sie zu bezichtigen, gegen ihn intrigiert zu haben. Aber da die Medici inzwischen die finanzielle Hauptlast des Krieges trugen, fanden diese Beschuldigungen keine Nahrung, schon gar nicht beim einfachen Volk.
»Albizzis Niederlage spielt uns jedenfalls trefflich in die Hände«, sagte Averardo und grinste breit.
Nachdenklich blickte Cosimo seinen Cousin an. »Es ist zwar richtig, dass Albizzi am Boden liegt.« Er rieb sich die hohe Stirn. »Aber das sollte uns nicht zu der Torheit verleiten, in aller Öffentlichkeit gegen ihn und seine immer noch starke Anhängerschaft Stimmung zu machen und Salz in die offene Wunde zu reiben«, sagte er. »Albizzi mag zwar angeschossen sein, aber tödlich getroffen ist er noch lange nicht.«
Averardo zog spöttisch die Augenbrauen hoch. »Täusche ich mich oder hast du gerade in aller Öffentlichkeit gesagt?«
Ein ironisches Lächeln umspielte Cosimos Mundwinkel. »Nein, du hast dich nicht getäuscht. Die erfolgreichste Politik ist die der leisen Töne, nicht die des gellenden Marktgeschreis.«
Sandro nahm begierig jedes Wort auf. Manchmal fragte ihn Cosimo inzwischen sogar, was er von dieser oder jener Angelegenheit halte und was ihm aus dem Volk zu Ohren gekommen sei.
Sandro fühlte sich geehrt, dass Cosimo seine Meinung so sehr schätzte. Aber natürlich wusste er auch, dass es viele Gespräche gab, die nicht für seine Ohren bestimmt waren.
Ebenso wenig ließ er sich von dem betont bescheidenen und allseits umgänglichen Auftreten Cosimos in der Öffentlichkeit darüber hinwegtäuschen, dass sich dahinter der harte Kern eines machtbewussten und oftmals kaltblütig berechnenden Mannes verbarg, der in der Wahl seiner Mittel alles andere als zimperlich war. Cosimo wusste Intrigen nicht weniger gut zu spinnen als die anderen mächtigen Männer, mit denen er im Widerstreit um die führende Rolle in der Republik lag. Er war vielleicht noch ein wenig geschickter in der Wahl seiner Mittel. Und wenn es seinen Zielen und Zwecken
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