Hüter der verborgenen Bücher (Buch 1)
aber wahrscheinlich hatte Miki recht. Trotzdem schob sie den Augenblick, in dem sie Madame Foucault das Buch bringen wollte, immer wieder hinaus. Sie hoffte, dass es ihr vielleicht noch weitere versteckte Nachrichten zeigen würde. Doch sooft sie auch in ihm blätterte… es erschien keine Schrift mehr zwischen den Zeilen.
Einige Tage später beschlossen Emily und Emma, die benachbarte Ringstadt zu besuchen. Sie waren beide noch nie dort gewesen und neugierig auf den Ort – vor allem Emily. Für sie war es der erste Besuch in einer Stadt, die nicht von Hütern bewohnt war.
Am Bahnhof von Arcanastra mussten sie nicht lange warten. Bald erklang das vertraute Rumpeln und Quietschen der Bahn.
Wie Emma fütterte Emily erst die blinden Pferde mit einigen Zuckerstücken, dann stieg sie ein. Noch immer waren die Fensterscheiben mit schwarzer Farbe bemalt. Unbehaglich dachte Emily an ihre letzte Fahrt durchs Moor. Wenigstens war jetzt die Sonne bereits aufgegangen, und am helllichten Tag kam ihr das Moor nicht ganz so bedrohlich vor. Zudem fuhren viele ältere Hüter mit.
Als die Bahn hielt, stiegen die beiden Mädchen aus. Emily schaute sich auf dem Bahnhof um. Hier hatte sie vor wenigen Wochen Finn angetroffen… damals hatte sie noch keine Ahnung gehabt, was sie in Arcanastra erwartete.
Eine Weile folgten sie der Straße, auf der Emily damals mit der Kutsche gefahren war. Schließlich gelangten sie an die Kreuzung mit dem Wegweiser und schlugen den Weg Richtung Ringstadt ein.
Bald erreichten sie die Stadt. Emily erkannte gleich, woher sie ihren Namen hatte: Um das Zentrum, ein imposantes Parlamentsgebäude, lagen die gepflasterten Straßen in immer größeren Ringen. Die aus Stein gebauten Häuser hatten kunstvolle Fassaden und waren von schmiedeeisernen Zäunen umgeben, die genau so schön gearbeitet waren wie die Pfähle der Laternen. Es gab auch beeindruckende Gebäude wie Opernhäuser oder Theater.
Viele Leute waren unterwegs. Einige blätterten in Zeitungen, andere spazierten mit rauchenden Zigarren zu einem Wirtshaus oder unterhielten sich über die neusten Ereignisse. Und immer wieder hob Emily den Kopf, weil eines der riesigen Luftschiffe über sie hinweg schwebte, so ruhig und bedächtig wie ein Wal im Meer.
Emily und Emma kamen an den verschiedensten Geschäften vorüber. Es gab Antiquariate und Druckereien, in einem wurden Uhren verkauft, in einem anderen Tabakwaren. Neben einem Laden, in dem bestickte Kleider, Westen und Hemden mit gebauschten Ärmeln angeboten wurden, entdeckte Emily ein Geschäft mit allen möglichen Geräten in der Auslage. Interessiert betrachtete sie die Teleskope, Spieluhren, Kompasse und Sextanten. Ihr war klar, dass sie längst nicht so kompliziert und interessant waren wie die Mechaniken, die in Arcanastra hergestellt wurden.
Auf einmal blieb Emily stehen und betrachtete unbehaglich ein düsteres Gebäude.
Kuriositätenkabinett stand in großen Lettern dort, von denen die Farbe abblätterte. Emily war froh, dass sie nicht genau erkennen konnte, was sich hinter den schmutzigen Scheiben befand. Gegenüber befand sich das Sanatorium.
„Heiler aus Arcanastra“, sagte Emma knapp.
Am Gebäude daneben stand auf einem Schild über der Tür Panoptikum Mr. Peeble jun.
„Ich glaube, Mr. Peeble hat mindestens fünf Söhne“, sagte Emma. „Und sie alle haben in irgendeiner Stadt ein Panoptikum eröffnet.“
Sie folgten einer schmaleren Gasse, die sie immer tiefer in die Stadt hinein führte. Gerade, als Emily sich fragte, ob sie wohl den Weg zurück zum Bahnhof wieder finden würden, gelangten sie in ein seltsam aussehendes Viertel. Dort standen keine richtigen Häuser, sondern Wagen in verschiedenen Größen. Sie sahen alle ziemlich abenteuerlich aus: Konstruktionen aus Holzbrettern, die sehr viele Türmchen und Erker besaßen.
„Das Viertel der Gaukler“, stellte Emma fest.
Viele Gaukler waren gerade am Üben. Einer von ihnen ließ bunte Tücher durch die Luft flattern wie Schmetterlinge. Ein anderer brachte einen Rosenstrauch dazu, innerhalb von Sekunden aus einem Samenkorn zu wachsen. Neben ihm stand eine junge Frau mit einer brennenden Fackel in der Hand. Als sie in die Flammen blies, erschienen darin Figuren von galoppierenden Einhörnern und fliegenden Drachen.
„Hast du das gesehen?“, fragte Emily fasziniert.
Emma nickte.
„Niemand weiß genau woher sie ihre Talente haben. Wahrscheinlich haben sie die von verborgenen Büchern bekommen, die eigentlich nach
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