Hüter der verborgenen Bücher (Buch 1)
schnaubte sie.
„Schon gut“, nickte Emma. „Er hat in seinem Labor also ein Irrlicht. Ich glaube trotzdem nicht, dass das etwas bedeutet.“
„Ich auch nicht“, schloss Miki sich an.
Emily biss sich auf die Lippe. Sie würde in nächster Zeit jedenfalls ein wenig darauf achten, was Shaddock und Manley so trieben.
Eine Weile streiften sie wieder ziellos durch Arcanastra. Irgendwann schlug Emma vor:
„Wir könnten noch zu Julie gehen. Ihre Werkstatt liegt hier gleich um die Ecke.“
Finn und Miki wohnten auch dort, in einer winzigen Dachwohnung, die sie sich teilten. Finn war mit Julie verwandt – „Sie ist die Schwester der Großmutter meiner Tante mütterlicherseits… oder die Tochter des Ehemanns der Base meiner Urgroßmutter väterlicherseits… so genau weiß das niemand“, hatte er einmal erklärt.
„Okay, aber danach gehe ich schlafen“, gähnte Emily. „Ich falle gleich um vor Müdigkeit.“
Die Eingangstür von Julies Werkstatt und die Fenster der Front waren von schönem Holz umgeben. Durch die Scheiben konnte man allerdings nicht sehen, denn schwere Samtvorhänge waren davor gezogen.
Als Emma die Tür öffnete, bimmelte ein Glöckchen. Der Duft von verbrannter Myrrhe schlug ihnen entgegen, und das Licht in der Werkstatt war so schummrig, dass sie kaum etwas erkennen konnten.
„Seltsamer Ort“, murmelte Emily.
„Seltsam? Oh ja, in der Tat… du findest hier, was immer du dir wünschst, und noch viel mehr“, erklang eine geheimnisvolle Stimme aus der Dunkelheit. „Mechanik in ihrer raffiniertesten Form, vielleicht sogar einen Splitter der Zukunft, das Licht der Gegenwart, die Entnebelung der…“ Ein heftiger Hustenanfall unterbrach den Singsang.
„Verfluchte Myrrhe, die kratzt schrecklich im Hals“, keuchte die Stimme. Dann ertönte ein schepperndes WUMMS , gefolgt von einem Stöhnen.
„Autsch, blöde Truhe! Muss es hier eigentlich so stockfinster sein? Nur einen Moment…“
Kleine schwebende Lichter entzündeten sich, und endlich konnte Emily sehen, wo sie eigentlich gelandet waren.
Julies Werkstatt erstreckte sich über unzählige kleine Räume, die gleichzeitig als Laden dienten. Die Werkstatt kam Emily vor wie eine Mischung aus überfülltem Wohnhaus, Antiquitätenladen und Teestube. Truhen und Tischchen standen so eng beieinander, dass man sich nur mit Mühe dazwischen durchquetschen konnte. Jeder Zentimeter war überfüllt mit Mechaniken in allen Größen. Emily sah surrende Kreisel, bunt leuchtende Glaskugeln, rückwärts laufende Uhren und andere rätselhafte Gegenstände. Von der Decke baumelten Leuchter, an den Wänden hingen Spiegel und Regale und gerahmte Bilder. Die Böden bedeckten bunte Teppiche. Über jede Ablagefläche war ein Spitzendeckchen gelegt worden, und in Vasen standen staubtrockene Rosensträuße. Die Türstürze waren so niedrig, dass man sich leicht den Kopf daran stoßen konnte. Julie allerdings nicht. Sie war so klein, dass sie Emily nur knapp bis zu den Schultern reichte. Dafür war ihr Bauchumfang beachtlich.
„Ach, Emma, du bist’s. Ich habe dir doch gesagt, dass ich euch erst morgen wieder hier haben will“, sagte sie und stemmte die Hände in die Seiten.
Emma lächelte ihr beruhigend zu. „Wir sind ja gleich wieder weg. Aber Emily wollte sich mal die Werkstatt anschauen.“
„Die Werkstatt anschauen? Wollt ihr nicht lieber…“, hektisch drehte Julie den Kopf. Sie fing eine surrende Kugel aus der Luft, die unter der Decke schwebte, und versteckte sie rasch in einer Tasche ihres Kleids. Wütend surrte die Kugel darin weiter und stieß immer wieder gegen den Stoff. Es sah aus, als hätte Julie eine Wespe in der Tasche. „… einen Tee trinken?“
Sie schob die Kinder in eine kleine Nische, in der ein Tischchen und Stühle standen.
„Setzt euch. Ihr werdet den besten Tee eures Lebens bekommen!“
„Aber…“, protestierte Emily schwach. Sie bekam kaum Luft, so eng war es in der Nische. Mikis Ellenbogen stupste immer wieder unangenehm gegen ihre Rippen.
„Kannst du mal ein bisschen rutschen?“, stöhnte Emily und rieb sich die Seite.
„Nein, kein Platz“, sagte Miki und starrte betrübt die Wand an. Er war so eingequetscht, dass seine Stimme ganz dumpf klang.
„Warum ist sie so nervös?“, flüsterte Emma. „Ich wette, sie hat was zu verbergen. Ich meine, mehr als üblicherweise.“
Sie verstummte, als Julie drei Teetassen und eine dampfende Kanne brachte.
„Frisch aufgebrüht“, verkündete Julie schnaufend.
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