Hüter der verborgenen Bücher (Buch 1)
schläft sogar in ihrer Werkstatt aus lauter Angst, beklaut zu werden.“
Emily zuckte die Schultern. „Aber morgen wird die Werkstatt leer sein. Während der Wächterprüfung.“
Mittlerweile hatte sie nämlich gehört, wie diese Prüfung genau aussah: Alle Bewohner Arcanastras versammelten sich auf dem Dach der Bibliothek. Dann verwandelten die Wächter die Stadt in ein Labyrinth aus Fallen und Gefahren, und wer es vom Stadtrand bis zur Bibliothek schaffte, hatte bestanden.
Verblüfft schauten ihre Freunde sie an, und auf ihren Gesichtern zeichnete sich langsam ab, was sie von diesem Plan hielten.
„Genial!“, rief Emma.
„Ziemlich mutig“, sagte Finn anerkennend.
„Bist du lebensmüde?“, fragte Miki ablehnend.
„Bin ich nicht“, sagte Emily. „Aber einen besseren Plan haben wir nicht.“
Miki schüttelte heftig den Kopf. „Hast du eine Ahnung, wie gefährlich es morgen in der Stadt sein wird?“
„Aber ich werde doch die ganze Zeit in Julies Werkstatt sein. Wenn ich die Orakelmechanik gefunden und befragt habe, warte ich einfach so lange dort, bis die Prüfung vorbei ist“, beruhigte Emily ihn. Gefährlicher als ihr Abenteuer im Moor konnte das bestimmt nicht sein, dachte sie. Und was sollte schon schief gehen?
„Aber die Mechanik selbst ist auch gefährlich“, gab Miki zurück.
„Sei kein Spielverderber, komm schon“, mischte Finn sich ein. „Der Plan ist gut. Und wenn Emily das tun will, soll sie. Wie willst du sonst rausfinden, wer der Geist ist? Vielleicht mit deinen Büchern?“
„Ja, zum Beispiel“, erwiderte Miki beleidigt.
„Also ich finde auch, dass Emily die Orakelmechanik suchen soll“, meinte Emma.
Miki warf ihr einen wütenden Blick zu. „Habt ihr mal daran gedacht, dass es einen Grund gibt, warum Orakelmechanik verboten ist?“, fragte er. „Habt ihr noch nie gehört, was passieren kann?“
Emily, Emma und Finn schauten sich an und schüttelten dann den Kopf.
„Einige haben monatelang Alpträume, nachdem sie eine Orakelmechanik befragt haben“, sagte Miki. „Die meisten können gar nicht mit dem Wissen umgehen, das sie erfahren. Stell dir vor, du hörst, wann du stirbst, oder wann du deinen besten Freund verlieren wirst. Und überhaupt, Orakelmechaniken funktionieren nicht einfach so, dass du eine Frage stellst und eine klare Antwort bekommst. Es ist viel komplizierter und verwickelter. Diese Mechaniken sind betrügerisch, sie wollen dich nur verwirren und beherrschen.“
Finn verdrehte die Augen. Emily zögerte eine Weile, sagte jedoch entschlossen:
„Ich frage aber nicht nach meinem Todestag. Na gut, vielleicht ist es gefährlich, aber der Geist ist es auch! Wir müssen einfach etwas tun, um mehr herauszufinden. Und wenn ich schon beim Orakel bin, kann ich auch gleich fragen, wer die Person ist, die dem Geist vor dreißig Jahren geholfen hat.“
Damit war die Diskussion beendet.
Die Abendsonne ließ die letzten roten und gelben Blätter an den Bäumen in warmen Tönen leuchten. Als Emily nach Hause ging, duftete es nach gerösteten Kastanien. Die Fenster von Sophias Haus schimmerten gemütlich in der Dämmerung. Fröstelnd schloss Emily die Tür auf und trat ein. Ihre Großtante saß im Wohnzimmer, mit einer dampfenden Tasse Tee in den Händen. Im Kamin flackerte ein helles Feuer und verbreitete wohlige Wärme.
„Hallo, Emily“, begrüßte Sophia sie. „Möchtest du auch etwas Kaktus-Stacheln-Tee?“
„Nein, danke.“ Emily schüttelte den Kopf und setzte sich nahe an den Kamin.
„Hast du viel gelesen heute?“, erkundigte sich Sophia.
„Na ja“, murmelte Emily schuldbewusst. Eigentlich hatte sie eher den ganzen Tag damit verbracht, in der Bibliothek etwas Schlaf nachzuholen. Glücklicherweise fragte ihre Großtante nicht genauer nach und fuhr damit fort, Kaktusstacheln aus ihrer Tasse zu angeln. Gähnend lehnte Emily sich im Sessel zurück. Bereits nach fünf Minuten war sie so müde, dass sie beinahe eingeschlafen wäre. Auch Sophia war nicht sehr gesprächig. Sie schaute ins Feuer und trank abwesend ihren seltsamen Tee.
Als ein dumpfes KLONK ertönte, schreckte Emily auf.
„Amy, musst du immer Unsinn anstellen?“, seufzte sie.
Die Katze hatte Samantha C.’s Brille auf der Nase. Allerdings schien sie damit nicht sehr gut zu sehen. Sie wankte und stieß immer wieder gegen Möbelstücke und Bücherstapel. Auch Samantha C. sah ohne Brille offensichtlich nicht sehr gut: Sie tastete sich empört quakend hinter der Katze her und
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