Hüter der verborgenen Bücher (Buch 1)
zwischen den Hindernissen hindurch, die darauf verteilt waren, immer schneller. Noch nie zuvor hatte Emily ein Pferd in einem solchen Tempo laufen sehen. Andere Wächter trugen mit ihren Stöcken Übungskämpfe aus. Nach einer Weile begriff Emily, wie sie funktionierten: Die Wächter schwangen die Stäbe in bestimmten Bewegungen, bis sie zu verschwimmen schienen und auf einmal eine unsichtbare Kraftwelle aussandten, die den Gegner von den Füssen riss.
„Nicht schlecht“, meinte sogar Finn beeindruckt.
Danach begannen sie zu üben. Aziz und Juno stellten sie paarweise zusammen, und Emily trat rasch zu Finn. Hannah hatte als Partner einen riesigen Jungen bekommen. Herausfordernd kampfeslustig schaute sie ihn an.
„Zuerst müsst ihr diese Bewegung beherrschen“, sagte Aziz und schwang seinen Stab. Sehr schwierig sah es bei ihm nicht aus, aber Emily änderte ihre Meinung rasch. Bald merkte sie, dass es sogar außerordentlich schwierig war. Nach einer Weile ließ sie ihren Stock sinken und schaute lieber Finn zu. Er übte mit zusammengebissenen Zähnen.
„Sieht schon ziemlich gut aus“, sagte Emily. Dann warf sie einen Blick zur Seite. Auch Hannah schien erfolgreich zu sein. Konzentriert schwang sie ihren Stock, dann nochmals, und nochmals… es sah schon beinahe so aus wie bei Aziz… auf einmal schien der Stab zu verschwimmen… und Hannahs Partner landete unsanft auf dem Boden. In diesem Moment klappte es auch bei Finn. Sein Stab sandte eine Schockwelle aus, und Emily plumpste ebenfalls auf den Boden.
„Sehr gut“, lobte Juno, die gerade in der Nähe stand. „Das Training ist für heute beendet. Das nächste Mal lernt ihr, wie ihr euch gegen solche Angriffe verteidigen könnt.“
Unterdessen waren auch Emma und Miki auf dem Trainingsgelände erschienen. Als Juno das Zeichen zum Aufhören gab, kamen sie zu Emily und Finn herüber.
„Ihr seid nicht schlecht“, sagte Emma. „Aber Finn ist besser als du, Emily – entschuldige, dass ich das sagen muss.“
Das machte Emily nicht viel aus. Sie war ja nicht diejenige, die unbedingt Wächter werden wollte. Und Finn war so nett, ein bescheidenes Gesicht zu machen und zu sagen:
„Aber Emily war fast so gut wie ich.“
„Und jetzt, seid ihr fertig?“, wollte Miki wissen. „Wir haben nämlich was rausgefunden.“
„Wir müssen nur noch schnell unsere Sachen zurückbringen“, sagte Emily. Zusammen mit Finn ging sie in den Stall.
„Weißt du, wann wir mit Reiten anfangen dürfen?“, fragte Emily, als sie all die Pferde in ihren Verschlägen sah. Zu Hause bei ihren Eltern hatte sie eine Zeit lang Reitunterricht gehabt.
„Nein, keine Ahnung“, sagte Finn. Emily trat zu einem der Verschläge. Ein wunderschönes Pferd stand darin. Sein Fell glänzte dunkelbraun, Mähne und Schweif waren tiefschwarz. Das Besondere aber waren seine Augen: In der Pupille schimmerte der Umriss eines Sterns. Etwas Ähnliches hatte Emily noch nie gesehen. Sie streckte die Hand aus und streichelte das weiche Fell des Pferdes. Seine Nüstern weiteten sich, es schnaubte leise.
„Kommst du?“, rief Finn vom Eingang des Stalles her, und Emily riss sich los.
„Ich besuche dich bald wieder“, flüsterte sie dem Pferd zu.
„Entschuldigt, dass ich nicht in der Bibliothek war“, sagte Emily, als sie wieder bei ihren Freunden stand. „Aber ich musste zum Training, weil ich jetzt bei den Wächtern bin.“
„Jaja, der Kodex.“ Emma verdrehte die Augen. „Hannah nervt mich andauernd damit.“
Dann kam Ilja auf sie zu und fragte:
„Habt ihr vier schon etwas vor, oder kommt ihr mit zum Abendessen? Wir kochen eine Kürbissuppe.“
Erst jetzt fiel Emily auf, dass sie nach dem langen Tag in der Kälte ganz schwach vor Hunger war. Auch ihre Freunde nickten beim Gedanken an eine heiße Suppe begeistert.
Im Haus war es gemütlich warm, und aus der Küche duftete es bald verlockend. Auch die drei Mädchen saßen am Tisch. Immer wieder starrten sie abschätzend zu Emily und Emma.
„Suppe kommt“, rief Ilja kurze Zeit später und trug einen riesigen Topf mit Kürbissuppe zum Tisch. Emily war so hungrig, dass sie am liebsten ihren Teller genommen und die Suppe in einem einzigen riesigen Schluck ausgetrunken hätte. Emma ging es ebenso. Sie aß drei ganze Teller leer, bevor sie eine halbe Sekunde Pause machte, um zu sagen:
„Wirklich sehr gut, die Suppe.“ Dann löffelte sie rasch weiter.
Als sie beim Nachtisch angekommen waren, ging Ilja mit Finn etwas vom Tisch weg und
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