Hüter der verborgenen Bücher (Buch 1)
redete leise auf ihn ein. Finn presste die Lippen zusammen.
„Was ist los?“, fragte Miki, der ihn auch beobachtet hatte. Finn zuckte stumm die Schultern.
„Sein Vater hat mir geschrieben“, erklärte Ilja. „Er hat erfahren, dass sein Sohn bei den Wächtern ist. Und mich gebeten, ihn wieder auszuschließen.“
„Gebeten?“, schimpfte Juno. „ Wenn Ihnen Ihre Stellung als Hauptmann der Wächter lieb ist, dann tun Sie, was ich von Ihnen verlange, das hat er geschrieben. Eine Bitte klingt anders!“
„Er will, dass ich später ein Parlamentsmitglied werde, wie er“, stieß Finn hervor. „Das sagt er mir schon seit Jahren. Es ist ihm egal, dass ich viel lieber Wächter sein will.“
„Parlamentarier? Mit diesen Muskeln? Das wäre doch die reinste Verschwendung“, sagte Anthea und warf Finn einen langen Blick zu. Finn wurde ziemlich rot.
„Ja… eben“, murmelte er. Emily und Emma kicherten. Miki lächelte angestrengt.
„Oder wirfst du mich etwa tatsächlich raus?“, fragte Finn und schaute Ilja herausfordernd an.
„Natürlich nicht“, antwortete Ilja. „Wir können momentan jedenfalls jeden Wächter gebrauchen. Gerade jetzt.“
„Ilja“, warnte Juno ihn, doch Ilja zuckte die Schultern.
„Früher oder später werden sie es ohnehin erfahren.“ Er seufzte und sprach zu den Kindern:
„Jemand aus der Ringstadt ist von einem Irrlicht entführt worden – es war nur eine Frage der Zeit, bis das passiert. Die Irrlichter werden immer gefährlicher.“
Alle hielten den Atem an, die drei Mädchen ebenfalls. Offensichtlich hatten sie davon auch noch nichts gewusst. Entführt?, dachte Emily bestürzt. Und wenn es Serafino war?
„Wer?“, fragte sie mit trockenem Mund. Ilja seufzte wieder.
„Ein kleiner Junge, kaum fünfjährig. Es ist unterdessen zwar wieder aufgetaucht, allerdings ohne Erinnerung“, antwortete er, und Emily atmete auf. Also doch nicht Serafino.
Eine Weile sagte niemand etwas. Dann klatschte Juno in die Hände und rief:
„Genug trübe Gedanken gewälzt! Wer möchte Nachtisch?“
Und die Schokoladentörtchen waren so gut, dass es Emily schwer fiel, noch länger besorgt zu sein.
Es war bereits dunkel, als die vier sich verabschiedeten. In der Stadt waren nicht mehr viele Menschen unterwegs – die Kälte und der Schnee hatten sie in die warmen Häuser getrieben.
„Eigentlich wäre jetzt ein guter Zeitpunkt, oder?“, fragte Emma. Miki nickte.
„Wofür?“, wollte Emily wissen.
„Miki hat wahrscheinlich herausgefunden, was das Gedicht bedeuten könnte, während ihr versucht habt, euch in diesem Training gegenseitig umzubringen“, erklärte Emma. Finn schüttelte bei dieser Definition missbilligend den Kopf.
„Und, was bedeutet es?“, fragte Emily.
„Na ja“, meinte Miki. „Die ersten zwei Zeilen beschreiben wahrscheinlich den Geist.“
„ Oh Schlangenherz, von einem blühenden Gesicht verborgen“, wiederholte Emily. „Aber was heißt das?“
„Dass der Geist ein gemeines Herz hat, aber gut aussieht“, antwortete Miki.
Die vier schauten sich an.
„Findet ihr, dass Shaddock gut aussieht?“, fragte Emily.
Emma zuckte die Schultern. „Na ja, wenn du die grauen Haare wegdenkst… und die Falten um die Augen… und ihn dir ein bisschen freundlicher vorstellst… vielleicht war er mal hübsch.“
Finn grinste, und Miki blinzelte.
„Aber vielleicht war der Geist auch überhaupt nicht gut aussehend“, überlegte Emma. „Ich meine, diejenige, die das geschrieben hat, war verliebt in ihn… natürlich fand sie ihn hübsch! Das heißt gar nichts. Ihr solltet mal hören, wie Leo immer vom guten Aussehen seiner Freundinnen schwärmt, aber wenn ihr die dann zum ersten Mal seht…“ Sie verzog das Gesicht.
„Der Geist ist also entweder gut aussehend oder nicht“, fasste Emily zusammen. „Sehr hilfreich.“
„Der Rest ist wichtiger“, sagte Miki. „Denkt mal an die nächsten zwei Zeilen.“
„Hielt sich je ein Drache eine so schöne Höhle?“ , erinnerte Emily sich. Miki nickte. „Ich habe in der Bibliothek einen Raum entdeckt, der etwas versteckt liegt, in dem die Bibliothekare manchmal Versammlungen haben – und ratet mal, was auf der Eingangstür abgebildet ist.“
„Ein Drache“, sagten Emily, Emma und Finn gleichzeitig.
„Und du glaubst, das hat sie damit gemeint? Dass der Raum die Höhle des Drachen ist?“, fragte Emma.
„Vielleicht“, sagte Miki. „Ich hatte jedenfalls noch keine bessere Idee. Ich meine, die Schreiberin war
Weitere Kostenlose Bücher