Hüter der verborgenen Bücher (Buch 1)
Fensterbrett des Saales und schaute über das winterliche Arcanastra. Immer wieder kehrten ihre Gedanken zu Nara zurück. Shaddock hatte tatsächlich seine eigene kleine Schwester ermordet und noch dazu einem Baby seine Mutter genommen. Emily konnte es einfach nicht begreifen. War es möglich, dass ein Mensch so böse war?
Allmählich zog die Dämmerung herauf. Einzelne Sterne erschienen am Himmel, und der Rauch über den Dächern färbte sich dunkler, bis er von der Nacht verschluckt wurde. Irgendwann kam die Heilerin in den Saal. Sie trat neben Emily und schaute wie sie eine Weile hinaus auf die Stadt, schweigend. Dann half sie ihrer Patientin ins Bett und brachte ihr die Medizin, und dieses Mal war Emily froh um den traumlosen Schlaf, in den sie fiel.
Eine Woche später bekam Emily zum letzten Mal ihre Medizin, und die Heilerin sagte:
„Ich denke, du bist wieder genügend erholt, um nach Hause zu gehen. Was meinst du?“
Emily nickte. Obwohl die Heilerin Recht hatte, wäre sie gerne noch etwas im Sanatorium geblieben. Es war nicht gerade verlockend, in Sophias Haus zurückzukehren, wo sie allein wohnen musste, während Manley den Schlüssel zur Eingangstür besaß. Aber sie würde Ilja dazu bringen, einen zusätzlichen Riegel anzubringen. Gleich heute noch.
Samantha C. war nirgends zu sehen, als Emily das Haus betrat. Wahrscheinlich war sie gerade auf einem Spaziergang durch die Nachbargärten. Emily ging die Wendeltreppe hoch, um nachzuschauen, ob Amy vielleicht in ihrem Zimmer war. Sie betrat den Raum… und blieb erschrocken stehen. Offensichtlich war das Zimmer durchsucht worden, denn nichts lag an seinem gewohnten Platz.
„Also war er schon hier“, murmelte Emily.
Im nächsten Augenblick lief Amethyst die Treppe hoch und sprang auf Emilys Beine.
„Hallo Amy, hast du mich vermisst?“, fragte Emily und streichelte die Katze. Amy begann zu schnurren. Wenn ich tatsächlich die Gabe bekommen habe, überlegte Emily, müsste sie jetzt eigentlich…
Amy, kannst du mich hören? , dachte sie angestrengt.
Die Katze blinzelte nicht einmal.
Amy? Hallo? Hallo!, dachte Emily.
Nichts.
Vielleicht funktionierte die Gabe auch völlig anders, überlegte Emily. Vielleicht musste sie ganz normal mit ihrer Katze sprechen.
„Hallo, Amy? Hallo?“, sagte sie laut.
Wieder nichts. Enttäuscht seufzte Emily.
„Also doch nicht“, murmelte sie. Und dann hörte sie in ihrem Kopf:
Vielleicht habe ich gerade keine Lust, mich zu unterhalten. Vielleicht, weil du so rumschreist.
Amy schaute sie aus lilafarbenen Augen an.
Bist du das, Amy? , dachteEmily.
Siehst du außer uns noch jemanden hier?
Aufgeregt dachteEmily:
Also kannst du jetzt meine Gedanken lesen? Und ich deine?
Nein , hörte sie Amys Stimme, so ist es nicht. Du musst einen Gedanken konzentriert auf mich richten, damit ich ihn hören kann. Viel Ahnung hast du nicht gerade, oder?
Emily war so begeistert, dass ihr kaum auffiel, wie eingebildet ihre Katze war.
Dass du so intelligent bist, hätte ich nicht gedacht, erwiderte sie.
Geht mir mit dir genauso, gab Amy zurück und begann damit, sich ausgiebig das Fell zu lecken. Auf einmal fiel Emily etwas ein.
Hast du zufälligerweise gesehen, wer hier eingebrochen ist?, fragte sie.
Mir fällt da eine viel wichtigere Frage ein: Wie gedenkst du mich in Zukunft zu nennen? Amethyst ist nicht schlecht, aber Amy ist einfach lächerlich. Ich hätte da an Hoheit gedacht, oder Ihre allerdurchlauchteste Majestät… hm…oh, Fellknäuel.
Die Katze würgte, dann kniff sie nachdenklich die Augen zusammen.
Das ist nicht dein Ernst , meinte Emily perplex.
Nun, wenn das so ist, dann habe ich auch nichts gesehen!
Ihre Majestät sprang von Emilys Schoß und stelzte die Wendeltreppe hinunter.
„Amy, das kannst du nicht machen!“, rief Emily ihr empört nach.
Ach, haben wir genug von der Gedankenübertragung? Schreien wir wieder? , hörte Emily. Und dann:
Hm, hier ist es also.
Wen meinte Amy?, überlegte Emily unbehaglich. Wer war hier? Doch nicht etwa…
Ein Rumpeln und Poltern war zu hören. Emily hielt die Luft an. Was war da unten los?
„Amy?“, flüsterte sie.
Die Geräusche kamen näher und näher… die Wendeltreppe hoch… und dann atmete Emily auf. Amy hatte das hüpfende Buch wieder gefangen. Stolz trug sie es im Maul und brachte es zu Emily.
„Zum Glück hat Shaddock es nicht gekriegt“, murmelte Emily. Sie nahm das Buch entgegen und band es wieder am Tischbein fest.
Danke, Amy!
Doch die
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