Hüter der verborgenen Bücher (Buch 1)
rückwärts und zog Emma mit sich. Auch Miki wich zurück. Nur Finn blieb reglos stehen. Der Geist zögerte. Er machte noch einen Schritt auf die Kinder zu, dann schien er es sich anders zu überlegen. Im nächsten Augenblick wirbelte er herum und verschwand um die Ecke.
Emilys Herz hämmerte vor Schreck. Die ganze Szene hatte nur wenige Sekunden gedauert, und Emily hatte noch gar nicht richtig begriffen, was gerade geschehen war. Warum hatte der Geist sie nicht angegriffen, sondern war geflohen?
„Wer war das denn?“, keuchte Emma.
Miki holte tief Luft. „Sah ganz nach…“
„… dem Geist aus“, unterbrach ihn Finn. Sein Gesichtsausdruck war seltsam verbissen. „Ich folge ihm, vielleicht führt er mich zu Linus.“
„Nein!“, rief Emily voller Angst. „Was ist, wenn er dir etwas antut?“
Doch Finn war bereits losgelaufen.
„Emily, ich bin ein Wächter, ich muss Arcanastra beschützen“, rief er noch, dann war auch er um die nächste Ecke verschwunden. Emily schüttelte verzweifelt den Kopf.
„Er ist verrückt geworden“, murmelte Emma fassungslos. „Total verrückt.“
Miki war der erste, der wieder einen klaren Gedanken fassen konnte.
„Wir müssen jemandem Bescheid sagen“, rief er.
„Madame Foucault?“, schlug Emma fieberhaft vor.
Die drei liefen los. Es war ein Wunder, dass sie den Weg zurück tatsächlich fanden und beim Schuppen wieder aus den Katakomben stiegen. Am Bahnhof von Arcanastra blieben sie kurz stehen, um zu verschnaufen.
„Mir ist was eingefallen“, keuchte Emily. „Das Panoptikum. Wenn wir schnell genug einen Zettel mit Finns Namen einspannen, sehen wir, wohin er geht, dann können wir herausfinden, wo sich das Versteck des Geistes befindet. Und jemand von uns sollte zu den Wächtern laufen, damit sie in ihr eigenes Panoptikum schauen können. Vielleicht geht das schneller.“
Die anderen beiden nickten.
„Dann sucht Miki nach Madame Foucault, ich laufe zu Ilja, und du gehst zum Panoptikum in der Bibliothek“, sagte Emma, und die drei Kinder machten sich getrennt auf den Weg.
Emily lief so schnell wie noch nie in ihrem Leben. Sie bekam kaum mehr Luft, und sie hatte schlimmes Seitenstechen, als sie endlich in der Bibliothek ankam. Rasch ging sie zum Raum mit der Drachentür, drückte auf den Zahn des marmornen Löwen und hastete durch den Korridor hinter dem Bücherregal. Mit zittrigen Händen riss Emily ein Stück Papier aus dem Buch, kritzelte Finns Namen darauf und spannte den Zettel in die Mechanik ein. Sie hielt den Atem an und starrte auf das Bild, das entstand… und stöhnte enttäuscht. Sie sah denselben Raum, in dem Linus gefangen gehalten wurde. Die Kanne stand immer noch auf dem Tisch, und in ihr spiegelten sich der gefesselte Finn und Linus, der zusammengekrümmt auf dem Bett lag, den Kopf gegen die Wand gedreht. Sie war zu spät gekommen.
Rasch kritzelte sie noch Shaddocks Namen auf einen Zettel. Die Buchstaben stiegen empor, ein Bild nahm Gestalt an, doch es zeigte einen Raum, den Emily noch nie gesehen hatte: Die Wände waren mit dunklem Holz getäfelt, am Boden lag ein weicher Teppich, und in einem Kamin flackerte ein Feuer. Durchs Fenster konnte man den Turm der Bibliothek und einige andere Häuser sehen. Emily seufzte. Shaddock war also irgendwo in Arcanastra und nicht im Moor…
Konnte er dann überhaupt der Geist sein?
Und was hatte der Geist Finns Familie wohl angetan, dass Finn ihn so verbissen jagte, ohne dabei an die Gefahr zu denken?
Der Mann mit den grünen Augen
Crispin und Demetrio saßen auf dem untersten Ast einer riesigen Eiche und schauten zum Wagen, der etwas entfernt am Ufer eines Baches stand.
„Was glaubst du, was will er?“, fragte Demetrio.
Crispin zuckte die Schultern. Mit zusammengekniffenen Augen beobachtete er den Mann, der mit Ambra und Ignazio um das Feuer saß. Er war groß, hatte leuchtend grüne Augen und eine feine Narbe auf dem Nasenrücken. Seit Crispin sich erinnern konnte, tauchte er regelmäßig alle paar Monate bei ihnen auf. Die Jungen wurden dann weggeschickt. Ambra und Ignazio verloren danach niemals ein Wort darüber, was sie besprochen hatten und was der Mann gewollt hatte.
„Vielleicht hängt es mit mir zusammen“, sagte Crispin schließlich. Demetrio drehte sich zu ihm um. „Wie meinst du das?“
„Es könnte doch sein, dass deine Eltern mich gar nicht in diesem Wirtshaus gefunden haben, sondern dass dieser Mann mich zu ihnen gebracht hat“, erklärte Crispin. Diese Vermutung
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