Hüter des Todes (German Edition)
waren. Ich stelle mir weiter vor, dass Ihr Vater den größten Teil seiner Zeit Ihren Brüdern gewidmet hat: Pfadfinder, Fußball und so weiter. Er wird nicht viel Zeit für Sie gehabt haben – und wenn Ihre Brüder Sie überhaupt beachtet haben, dann höchstens, um Sie runterzumachen. Das würde Ihre instinktive Feindseligkeit erklären und Ihre akademische Überkompensation.»
Christina öffnete den Mund zu einer Erwiderung, doch dann schloss sie ihn wieder.
Logan fuhr fort. «In Ihrer Familie gab es vor ein paar Generationen eine berühmte – oder zumindest bedeutende – Frau, eine Archäologin vielleicht oder eine Bergsteigerin. Die Art und Weise, wie locker und schief Ihre Diplome und Zeugnisse an der Wand hängen, lässt eine formlose Einstellung gegenüber den Wissenschaften vermuten: Wir sind alle eine große Familie, ob wir nun beeindruckende Doktortitel führen oder nicht. Und doch legt die bloße Tatsache, dass Sie Ihre Diplome mitgebracht haben, die Vermutung nahe, dass Sie im Innern tief verunsichert sind, was Ihre Stellung bei dieser Expedition angeht. Eine junge Frau, eine von wenigen unter Männern, auf einer körperlich fordernden Mission in einer rauen, unerbittlichen Umgebung – Sie haben Angst, nicht ernst genommen zu werden. Oh, und Ihr zweiter Vorname fängt mit A an.»
Sie starrte ihn überrascht und mit funkelnden Augen an. «Und woher zum Teufel wissen Sie das ?»
Er deutete mit dem Daumen über die Schulter zur Tür. «Es steht auf Ihrem Namensschild draußen.»
Sie erhob sich. «Verschwinden Sie!»
«Danke für die Unterhaltung, Dr. Romero», sagte Logan, erhob sich und verließ das Büro.
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13
Logan hatte frei bis zum folgenden Morgen, also verbrachte er den Rest des Nachmittags damit, durch die Station zu spazieren und sich ein Gefühl für die Anlage und ihre Bewohner zu verschaffen. Da er die Büros, den Wohntrakt und den Tauchstützpunkt bereits kannte, beschloss er, die wissenschaftlichen Labors in Rot zu besuchen. Die Labors selbst waren zwar klein, doch er war erstaunt, mit welch unterschiedlichen Feldern sie sich befassten: nicht nur mit Archäologie, auch mit Geologie, organischer Chemie, Paläobotanik, Paläozoologie und verschiedenen anderen. Die Labors waren modular aufgebaut: Boxen aus Edelstahl mit einer Grundfläche von vielleicht dreißig Quadratmetern. Einige waren belegt, während andere verlassen schienen: Offensichtlich pickte Porter Stone für jede Expedition die Labors heraus, von denen er glaubte, dass sie nützlich waren. In Betrieb genommen wurden sie erst, wenn sie gebraucht wurden.
Als Nächstes besuchte Logan Weiß, den Führungs- und Kontrollbereich. Obwohl es die obligatorischen Sicherheitszonen und verschlossenen Türen gab, erschien der Bereich erfrischend ungezwungen. Es gab nur wenige Wachleute, und die, denen er begegnete, waren freundlich und offen. Er erwähnte mit keinem Wort Narmers Fluch oder den Grund für seine Mitarbeit bei dem Projekt, doch die eigenartigen Blicke, die ihm gelegentlich zuteilwurden, machten ihm klar, dass zumindest einige von ihnen Bescheid wussten.
Das Nervenzentrum von Sektion Weiß war ein großer Raum, in dem an einem Terminal in einer Ecke ein einzelner Techniker saß. Der Mann hatte fransige, strohig-schwarze Haare und hatte Logan den Rücken zugewandt. Er war umgeben von Monitoren und Schaltarmaturen, wie ein Pilot in einem beengten Cockpit.
«Und?», fragte Logan, als er den Raum betrat. «Schon einen Kaufhausdieb entdeckt?»
Der Techniker wirbelte herum und schnaubte vor Schreck. Ein Buch, das auf seinem Schoß gelegen hatte, segelte durch die Luft und landete schlitternd auf dem Boden.
«Jesses!», rief der Mann und zerrte mit einer Hand am Kragen seines Laborkittels. «Wollen Sie, dass ich einen Herzinfarkt kriege oder was?»
«Um Gottes willen, nein! Ich schätze, damit würde ich Dr. Rush den Tag ruinieren.» Logan trat vor und streckte dem Techniker die Hand entgegen. «Ich bin Jeremy Logan.»
«Cory Landau.» Die Art und Weise, wie der Techniker in seinem Sessel gelungert hatte, hatte Logan schon an der Tür vermuten lassen, dass er noch jung war. Tatsächlich konnte Landau nicht älter als zwei- oder dreiundzwanzig sein. Er hatte leuchtend blaue Augen, den frischen, pfirsichfarbenen Teint eines Kleinkinds und einen geradezu bizarren schmalen Zapata-Schnurrbart, der überhaupt nicht zum Rest seiner Erscheinung passte. Vor ihm auf dem Schreibtisch stand ein Energy-Drink,
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