Hüterin der Nacht: Roman (German Edition)
Vampirgene sich eines Tages durchsetzten und ich es genoss, wie das warme Blut in meinen Mund floss, nachdem ich meine Zähne im lebendigen Fleisch versenkt hatte.
Ich schüttelte mich heftig. Aber in Wirklichkeit hatte ich keine Wahl. Mein Schicksal nahte zunehmend schneller, und niemand wusste, was die Zukunft für mich bereithielt. Ich war ein Werpir, und wozu ich mich entwickeln würde, war in meiner DNA angelegt. Ich mochte derzeit mehr Wolf als Vampir sein, aber wer wusste, was die Zukunft brachte? Vor allem wegen des Medikaments, das mir diese Psychopathen, die sich als meine Liebhaber getarnt hatten, über ein Jahr hinweg heimlich verabreicht hatten.
Dass ich ein Wächter geworden war und nun regelmäßig mit Tod, Zerstörung und Blut zu tun hatte, konnte bereits der erste Schritt in diese Richtung sein. Es war bekannt, dass man sich deutlich leichter mit dem Tod abfand, wenn man täglich mit ihm zu tun hatte. Ich konnte zwar dagegen ankämpfen, aber wie lange?
Würde eine Zeit kommen, in der ich ebenso viel Spaß an der Jagd und dem Nachspiel haben würde wie mein Bruder? So wie Gautier?
Na, hoffentlich nicht. Das Schicksal hatte mir schon genug Mist zugemutet, das musste nicht noch zusätzlich sein.
Ich rieb mir zitternd die Arme, und als der letzte Waggon vorbeigerattert war, ging ich weiter. Blut oder nicht, ich musste nachsehen, was in dem Haus geschehen war.
Ich blieb am Ende des Stadthauses stehen und linste kurz um die Ecke. Es war niemand zu sehen. Ich duckte mich und lief an den unbeschädigten Fenstern vorbei. Auf dem Beton neben der Hintertreppe befand sich ein seltsamer, dunkler, russähnlicher Fleck. Dunleavy hatte offenbar kürzlich etwas verbrannt, aber es war nicht ersichtlich, wieso er das so nah am Haus getan hatte.
Die Hintertür stand weit offen, und der Blutgeruch wurde intensiver. Ich ignorierte meine wilde Seite, die den Geruch, wenn nicht sogar den Geschmack genoss, und ging vorsichtig die Stufen hinauf.
Die kleine Waschküche hinter der Eingangstür war ruhig und dunkel. Der Deckel der Waschmaschine stand offen, und die Trommel war zur Hälfte mit Kleidung gefüllt. Ich musterte sie, bemerkte dunkle Overalls und nahm den schwachen Geruch von Öl und Benzin wahr. Arbeitskleidung. Oder vielleicht treffender: Diebeskleidung. Ich durchquerte die Waschküche, blieb an der nächsten Tür stehen, konzentrierte mich auf den Geruch und lauschte. Der Blutgeruch kam von rechts, aus einem Raum, der wie ein Schlafzimmer aussah, der Scheißgeruch von links. Dort im Wohnzimmer waren Fernseher und Clubsessel umgekippt und deuteten daraufhin, dass ganz offensichtlich ein Kampf stattgefunden hatte.
Wieso kam Gautiers Geruch dann scheinbar überwiegend aus dem Schlafzimmer? Soweit ich wusste, war Gautier nicht homosexuell. Er hatte auf mich eigentlich immer ziemlich asexuell gewirkt. Ich hatte von Gautier noch nie sexuelle Schwingungen empfangen. Ich hatte ihn noch nie mit einer Frau gesehen oder ihn auf eine erotische Art über Frauen sprechen hören – oder über Männer. Obwohl Vampire doch von Natur aus sexuelle Wesen waren. Dafür dass sie einem Blut abzapften, belohnten sie einen mit einem Orgasmus, und nachdem ich das dank Quinn am eigenen Leib erfahren hatte, musste ich sagen, dass es das bisschen Blutverlust allemal wert war.
Nicht, dass ich irgendeinen anderen Vampir in die Nähe meines Halses ließe. Himmel, viele von ihnen neigten dazu, sich nicht zu waschen, und allein der Geruch hielt mich bei den meisten davon ab, ihnen zu nahe zu kommen.
Aber Gautier war ein Vampir, der in einem Labor und nicht durch ein Blutritual gezeugt worden war. Vielleicht waren bei seinem Zeugungsprozess seine sexuellen Bedürfnisse verloren gegangen. Oder hatten sich in Blutlust verwandelt. Niemand bezweifelte, dass er auf Töten stand.
Ein leises Stöhnen tönte durch die Stille, ein Geräusch, das so leidend klang, dass sich meine Nackenhaare aufstellten. Ich betrat den Flur. Das Stöhnen kam aus dem Schlafzimmer, und dennoch konnte ich dort kein Leben spüren. Wenn Dunleavy ein Mensch war, war das allerdings nicht weiter überraschend. Anders als Nichtmenschen tauchten Menschen nicht auf meinem Wahrnehmungsradar auf, aber wenn ich ihnen nah genug war, konnte ich ihre Gedanken lesen und kontrollieren. Ich blickte über meine Schulter in das Wohnzimmer, und als ein weiteres Stöhnen ertönte, schlich ich, aufmerksam auf jedes Geräusch und jede Bewegung achtend, in Richtung Schlafzimmer.
Die
Weitere Kostenlose Bücher