Hüterin der Nacht: Roman (German Edition)
Männliche Werwölfe hatten einen intensiveren Grundgeruch als die Männer anderer Rassen. Vielleicht kam uns Frauen das auch nur so vor, weil wir uns von ihnen stärker angezogen fühlten. Werwölfe verbrachten zwar viel Zeit mit Sex, aber egal was andere Rassen dachten, hinter diesem ganzen Vergnügen verbarg sich ein ernstes Ziel. Der Wunsch, unseren Seelenverwandten zu finden, war in unserer DNA angelegt, und nur wenige Werwölfe wurden sesshaft, bevor sie dieses Ziel erreicht hatten. Sich mit anderen Rassen zu amüsieren, brachte uns nichts, außer Spaß. Aber kein Wolf konnte auf Dauer mit Spaß überleben.
Egal was mein Bruder dachte.
Der Gestaltwandler ließ den Blick durch den Raum schweifen, verharrte kurz bei Dunleavys Leiche und landete schließlich bei mir. Die Überraschung verdrängte einen Moment die Wachsamkeit aus seinen hellblauen Augen. »Agentin Jenson?«
Ich nickte. »Damit haben Sie wohl nicht gerechnet, was?«
Er lächelte, und um seine Augen bildeten sich kleine Fältchen, die sein verlebtes Gesicht deutlich attraktiver wirken ließen, als ich gedacht hatte. »Nicht im Geringsten. Ich wusste nicht, dass wir eine Werwolfwächterin gewinnen konnten.«
Zwei weitere Männer drängten hinter ihm in den Eingang. Einer der beiden fluchte leise, als sein Blick auf Dunleavy fiel. Der andere zeigte keinerlei Reaktion. Beide waren Gestaltwandler wie Cole. Der eine verströmte einen Katzengeruch, der andere roch nach Vogel oder so etwas in der Art. Keiner der beiden reizte im Geringsten meine Hormone. Was gut war, denn nichts war schlimmer als eine Mondhitze, die mich nach allem lechzen ließ, das einen Schwanz hatte. Vor allem, wenn ich arbeiten musste.
Cole deutete mit dem Kinn auf die Leiche. »Was ist passiert?«
»Er wurde gehäutet.«
Cole musterte mich einen Augenblick, das kurze amüsierte Funkeln erlosch. »Von dir?«
»Zum Teufel, ja. Und danach haben wir im Flur Tango getanzt.«
Er hob zweifelnd eine Braue, als ob er mir nicht ganz glaubte. Andererseits arbeitete er schon zu lange mit Wächtern, um genau zu wissen, wozu sie in der Lage waren.
Da ich mich als eine von ihnen zu erkennen gegeben hatte, war er vermutlich zu Recht vorsichtig.
»Manche Wächter foltern sehr gern.«
»Ich bin ein Werwolf«, erwiderte ich trocken. »Ich kann mit besseren Mitteln als mit Folter aufwarten, um an Informationen von einem Verdächtigen zu kommen.«
Er musterte mich von oben bis unten, aber auf eine vollkommen asexuelle Art. Sehr zur Enttäuschung meiner Hormone. »Darauf möchte ich wetten.«
Wenn vier unschuldige Worte deutlich ein Vorurteil zum Ausdruck bringen konnten, dann diese. Er hatte mich zwar nicht direkt als Hure bezeichnet, aber sein Ton ließ daran keinen Zweifel. Wenn ich in Wolfsgestalt gewesen wäre, hätten sich jetzt die Haare in meinem Nacken aufgerichtet.
Ich unterdrückte die Wut, die in mir hochkochte, und sagte, so milde ich konnte: »Du weißt doch, wie sehr uns Werwölfen die Einstellung der Menschen zu schaffen macht. Wir brauchen das ganz bestimmt nicht noch von unserer eigenen Rasse.«
Er trat einen Schritt vor und ließ die beiden anderen Männer in den Raum, dann sagte er: »Ich gehöre nicht zu deiner Rasse. Ich bin ein Gestaltwandler.«
Gott sei Dank.
Die unausgesprochenen Worte hingen quasi in der Luft und leuchteten in grellen Neonfarben. Ich dehnte die Finger. »Du bist ein Wolf und gehörst deshalb zur Verwandtschaft, ob dir das passt oder nicht. Und Gestaltwandler aller Art haben ein großes Sexualbedürfnis, also versuch nicht, dich über mich zu erheben.«
Ich blickte zu dem Bildtelefon, denn mir fiel plötzlich ein, dass es immer noch eingeschaltet war und aufzeichnete. Na, toll. Eine Daueraufnahme unprofessioneller Überempfindlichkeit. Nicht dass das irgendjemanden in der Abteilung überraschen würde. Ich stieß die Luft aus und sammelte mein Telefon ein. Coles Assistenten bauten ihr eigenes Aufnahmegerät auf, so dass ich mich nicht mehr darum kümmern musste. Ich kam Cole dadurch ein ganzes Stück näher, und sein Geruch umfing mich warm und quälend.
»Wenn du das restliche Haus überprüfen willst«, er blähte die Nasenflügel, als würde er einen Geruch wahrnehmen, der ihn zugleich anzog und abstieß, »muss ich erst das mobile Aufnahmegerät aufbauen.«
»Dann beeil dich.« Ich drängte an ihm vorbei und ging den Flur hinunter. Wenn Schritte wütend klingen konnten, dann ganz sicher meine.
Verdammt, das brauchte ich wirklich nicht,
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