Hüterin der Nacht: Roman (German Edition)
einzigen Geräusche waren mein leises Atmen und das gelegentliche Knarren einer Holzbohle unter meinen Füßen.
Im Schlafzimmer fand ich Dunleavy.
Er lag mit ausgebreiteten Armen bäuchlings auf dem Bett, doch ich hatte keinen Zweifel, dass er es war. Die Größe, die Haarfarbe und das Profil entsprachen den Fotos, die ich in der Akte von ihm gesehen hatte.
Er rührte sich nicht, schien nicht zu atmen, und auf den weißen Laken unter ihm hatten sich dunkle Blutlachen gesammelt.
Nicht von einer Wunde. Oder zumindest nicht von einer normalen Wunde, wie von einem Schuss oder einem Messer.
Dunleavy war vollkommen gehäutet worden.
Von seinem Nacken bis zu den Fersen. Es war weder schön noch besonders ordentlich gemacht worden. In gewisser Weise erinnerte es mich an die Arbeit eines Schlachterlehrlings, der das Häuten noch übte.
Mir wurde übel. Ich schloss die Augen und atmete ein paar Mal schnell und flach durch den Mund anstatt durch die Nase. Es half nicht viel. Der Gestank von Blut und Tod war so intensiv, dass ich ihn fast schmeckte. Das Bild dieses blutigen Haufens aus Muskeln und Fleisch schien sich in meine Netzhaut zu brennen.
Ich hatte in den letzten Monaten sehr viel Grausames gesehen, unter anderem den Tod des wehrlosen Mädchens gestern. Einige dieser Tode hatte ich begrüßt, manche hatte ich beklagt oder beweint. Aber einem Menschen bei lebendigem Leib die Haut abzuziehen wie einem Tier schien mir schlimmer als alles andere. Und die Tatsache, dass der Killer die Hautfetzen ordentlich über das Bettende drapiert hatte, als wären sie eine zwar blutige, aber feine Decke, die man noch einmal benutzen konnte, machte es nur noch grausamer.
Ich zog das Bildtelefon aus meiner Tasche und forderte bei der Abteilung sowohl ein medizinisches als auch ein forensisches Team an. Dann stellte ich das Bildtelefon auf Aufnahme und Senden, stellte es auf eine Kommode und trat in das Zimmer, ohne auf meinen rebellierenden Magen zu achten.
»Mr. Dunleavy?« Ich zog einen Handschuh an und legte meine Finger an seinen Hals. Kein Puls. Ich hob sein Handgelenk hoch und versuchte es noch einmal. Wieder nichts. Ich fragte mich, ob ich wirklich Stöhnen gehört hatte oder ob es etwas anderes gewesen war. Etwas, das sich im Bereich des Übersinnlichen bewegte.
Mir lief eine Gänsehaut über den Körper. Ich versuchte die seltsame Vorahnung, dass das hier nicht alles war, zu ignorieren, und meldete Dunleavys Tod sowie die Uhrzeit für die Aufnahme auf dem Bildtelefon. Als ich seine Hand zurück auf das Bett fallen ließ, stieg ein dünnes Wölkchen, eine Art Dampf, von seiner Leiche auf. Auf einmal schien es in dem Raum deutlich kälter zu werden, als würde der aufsteigende Nebel der Luft die Wärme entziehen, und mir lief ein eisiger Schauder über die Haut.
Ich bemerkte, dass es kein einfacher Nebel war. Es war Dunleavys Seele.
Es war nicht das erste Mal, dass ich eine Seele aufsteigen sah, allerdings hatte ich beim ersten Mal gehofft, dass es das letzte Mal sein würde. Dass es eine kleine Fehlleitung und nicht die Entwicklung einer seltsamen neuen Fähigkeit war. Ich wollte keine Geister oder Seelen oder irgendetwas anderes in dieser Richtung sehen. Was zum Teufel nutzte es, wenn man Tote sehen konnte? Vor allem, wenn es sich um tote Tote handelte und nicht um Vampirtote? Wozu waren Tote auf der Erde gut, wenn sie nicht länger Teil der gegenständlichen Welt waren?
Als das letzte Wölkchen von Dunleavys blutigem Körper aufgestiegen war und sich mit den anderen zu einer einzigen Wolke verbunden hatte, schien sein Körper leicht in sich zusammenzusacken, und ein weiteres Stöhnen ertönte, diesmal so leise, dass ich es kaum hören konnte.
Es klang wie ein Wort. Dahaki .
Ich blinzelte und fragte mich, ob ich mir das eingebildet hatte oder wer oder was zum Teufel Dahaki war.
Ich blickte zu dem Bildtelefon und hoffte, dass es nah genug gelegen hatte, um das leise Flüstern aufzunehmen. Dann riss ich mich zusammen und musterte die Sauerei, die einmal sein Rücken gewesen war.
In einigen Bereichen war die Haut in einem Stück abgezogen worden, so dass Muskeln und Fleisch vollkommen unversehrt waren. In anderen waren Haut und Muskeln zerfetzt und bildeten ein widerliches Durcheinander. Es war eine Menge Blut geflossen, denn die Haut bildete die Hülle des Körpers. Sie schützt uns, und unter ihrer Oberfläche fließt sehr viel Blut. Deshalb bluteten einfache Wunden häufig am stärksten. Aber um so etwas zu tun,
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