Hüterin der Seele -: Sea Haven 2 (German Edition)
Zwei. »Ich wollte Sie nicht in Verlegenheit bringen, Judith«, sagte er sanft. »Sie kennen mich überhaupt nicht. Ich weiß Ihr großzügiges Angebot wirklich zu schätzen, aber ich erwarte ganz bestimmt nicht von Ihnen, dass Sie mich auf Ihre Farm mitnehmen.« Er bemühte sich um ein offenes Lächeln und den besten Unschuldsblick, den ein Wolf im Käfig zustande brachte, wenn er seinen Willen durchsetzen wollte.
Sie ging ihm anstandslos in die Falle. »Sie bringen mich überhaupt nicht in Verlegenheit. Ich glaube, das könnte Spaß machen, solange Sie nicht über die Stränge schlagen und die Maisfelder verwüsten.«
»Dann bin ich dabei.« Zu seinem Erstaunen klang es tatsächlich so, als könnte es Spaß machen. Es war eindeutig gefährlich für ihn, Zeit mit Judith zu verbringen, doch plötzlich reizte ihn der Gedanke, Traktor zu fahren, tatsächlich. Er hatte nie im Leben daran gedacht, diese Erfahrung zu machen, aber wenn er untertauchte, könnte er sich vielleicht wirklich für Landwirtschaft interessieren. Wenn nicht, dann würde er immerhin neben Judith auf einem Traktor sitzen und es genießen, ihr ins Gesicht zu sehen, während sie ihm beizubringen versuchte, wie man dieses Ding fuhr.
»Ich werde zwei bis drei Wochen hierbleiben. Ich halte es für wichtig, Zeit hier zu verbringen, um wirklich ein Gespür für den Ort zu bekommen.«
»Morgen arbeite ich nicht im Laden und wir sollten schönes Wetter haben.« Sie hatte ihr Kinn in die Luft gereckt und ihr Rückgrat war kerzengerade.
Sie war entschlossen, bei ihrem Angebot zu bleiben und es so schnell wie möglich in die Tat umzusetzen, ehe sie es sich anders überlegte. Er unterdrückte ein Lächeln und ließ sich auf einen Stuhl am Schreibtisch vor den aufgeschlagenen Geschäftsbüchern sinken. Es war an der Zeit, sich an die »Arbeit« zu machen und ihr aus der Patsche zu helfen, ehe sie zu wachsam wurde. Sie stand bereits kurz davor, die Flucht zu ergreifen.
»Um wie viel Uhr? Das macht bestimmt Spaß.« Er wusste nicht wirklich, was »Spaß« war, aber die Aussicht, Zeit in ihrer Gesellschaft zu verbringen und sich auf einen weiteren verbalen Schlagabtausch mit ihr einzulassen, war ganz entschieden reizvoll. Er hatte Zeit, sich in Sea Haven einzuführen, bevor Jean-Claudes Ausbruch aus dem Gefängnis arrangiert und er aufgegriffen wurde. Hoffentlich würde es für ihn nichts weiter zu tun geben, als nach Ablauf dieser Frist von hier fortzugehen. In der Zwischenzeit würde er die Leute unter die Lupe nehmen und ein Gespür für diesen Küstenort entwickeln. Er würde aber auch die Augen nach Petr Ivanov offen halten, und wenn er ihn fand, würde Ivanov verschwinden müssen. Stefan konnte ihn nicht zurücklassen und riskieren, dass er Lev fand, falls sein Bruder noch am Leben war.
»Sagen wir, um elf oder zwölf. Dann habe ich noch Zeit, daheim ein paar Sachen zu erledigen.«
Er widerstand bewusst der Versuchung aufzublicken und vertiefte sich eifrig in das Geschäftsbuch. »Klingt gut. Wenn Sie mir die Adresse aufschreiben, finde ich den Weg. Ich bringe etwas zum Mittagessen mit. Sonst glauben Sie noch, Sie müssten mich verpflegen.«
»Was bringt Sie denn auf diesen Gedanken?«
Jetzt erlaubte er sich aufzublicken und sich seine Belustigung ansehen zu lassen. »Sie sind eine Frau von der Sorte.«
Sie zog eine Augenbraue hoch. »Und was für eine Sorte Frau wäre das?«
»Die gastfreundliche, das versteht sich doch von selbst. Und ich werde Ihre Freundlichkeit nicht noch weiter überstrapazieren, als ich es ohnehin schon tue, indem ich das Angebot annehme, von Ihnen auf einem Traktor herumgefahren zu werden.«
»Oh nein, das sehen Sie falsch, Thomas. Ich nehme Sie nicht nur mit, Sie werden den Traktor selbst fahren.«
Ihr neckischer Tonfall entwaffnete ihn. Er hatte sich noch nie wirklich darauf eingelassen, mit einer Frau zu schäkern, und er unterdrückte die Wärme, die sich in seinem Körper ausbreitete. Er musste sich ins Gedächtnis zurückrufen, dass er nicht Thomas Vincent war, sondern diese Frau ernsthaft manipulierte. Nichts von alldem war echt, auch wenn es ihm noch so echt vorkam. Er setzte sich aufrechter hin. Auch wenn er sich noch so sehr wünschte, es wäre echt.
Er fluchte tonlos in sich hinein, als er sich zwang, nicht wieder zu ihr aufzublicken. Dazu war er zu diszipliniert. Wie um alles in der Welt hätte er zulassen können, dass eine Frau seine Welt ins Wanken brachte? Sie war genauso wie alle anderen: ein Zielobjekt.
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