Hüterin der Seele -: Sea Haven 2 (German Edition)
gestanden. In Judiths Gemälde ging es nur um das Leben und nicht um den Tod, und da er das respektierte, zwang er sich, auf dem Absatz kehrtzumachen und die finstere Versuchung hinter sich zu lassen. In dem Moment hatte er gewusst, dass er sich zur Ruhe setzen musste, verschwinden musste, bevor er den Unterschied zwischen Richtig und Falsch nicht mehr kannte.
Im Gegensatz zu dem, was seine Vorgesetzten glaubten, hatte er einen Ehrenkodex, nach dem er lebte, und er stand zu dicht davor, diese schmale, verschwommene Grenzlinie zu überqueren. Ganz gleich, wie die Sache hier ausging – dies würde sein letzter Einsatz sein und er hatte den Auftrag aus zwei Gründen angenommen. Er wollte ein für alle Mal wissen, ob sein Bruder noch am Leben war – und er gedachte dafür zu sorgen, dass er, falls es so war, am Leben blieb. Und er wollte ihr – Judith – persönlich begegnen.
»Das ist Wahnsinn. Er hat nicht annähernd so viel dafür bezahlt.«
Sie wirkte erfreut und zugleich ein wenig entsetzt. Diese Reaktion machte sie ihm noch sympathischer.
»Offenbar liebt er das Bild genauso sehr wie ich«, sagte Stefan. »Jedenfalls hat das Wissen, dass Ihre Werke durch diese Galerie verkauft werden, großen Einfluss auf meinen Entschluss gehabt, den Kauf gerade dieser Galerie ins Auge zu fassen. Es erschien mir wichtig, Ihnen das mitzuteilen.« Er senkte den Kopf ein wenig, weigerte sich jedoch, den Blick abzuwenden.
Ihr Blick glitt über sein Gesicht, verweilte einen Moment auf seinem Mund und kehrte dann abrupt zu seinen Augen zurück. Ein bedächtiges Lächeln zog an ihren Lippen. Ihr Mund faszinierte ihn wirklich und gab ihm Stoff für Phantasien, die fürs Leben reichten. Sie hatte schöne Zähne, klein und zierlich, die zu ihren exotischen Gesichtszügen passten. Ihre Wimpern waren lang und geschwungen, zwei dichte Mondsicheln, die die Aufmerksamkeit auf ihre großen dunklen Augen lenkten. Er fasste den bewussten Entschluss, nicht einfach darin zu ertrinken, und zog sich vom Rande des Abgrunds zurück. Er durfte nicht aufgrund von riesigen Schlafzimmeraugen aus der Rolle fallen.
»Ich fühle mich sehr geschmeichelt, Mr. Vincent.«
»Nennen Sie mich Thomas.«
»Und ich bin Judith.« Sie legte die Bücher auf den Schreibtisch und wies auf einen Stuhl. »Warum werfen Sie nicht einen Blick hinein, während ich vorn im Ausstellungsraum ein paar Kleinigkeiten erledige? Sie werden die Bücher bestimmt noch mit Ihrem Steuerberater und Ihrem Anwalt durchgehen wollen, aber ich bin der Meinung, dass die Galerie eine solide Investition ist. Wenn ich das Geld hätte, hätte ich selbst versucht, sie zu kaufen.«
Er sah sie stirnrunzelnd an. Sie verkaufte sowohl ihre Kaleidoskope als auch ihre Gemälde weltweit. Sie hatte ihren eigenen Laden und arbeitete hier als Galeristin.
Sie lachte leise. »Ich besitze gemeinsam mit meinen Schwestern eine Farm. Wir stecken den größten Teil unseres Geldes in dieses Unternehmen. Es beginnt sich bereits auszuzahlen, aber die ersten Jahre waren hart.«
»Wirklich?« Interesse schlich sich in seine Stimme ein. »Sie bewirtschaften sie?«
Judith lachte wieder. »Ist das so abwegig?«
»Ihre Schwestern?« Er wusste verdammt gut, dass sie keine Schwestern hatte – sie hatte überhaupt keine Angehörigen. »Nur Frauen, die allein eine Farm bewirtschaften?«
»Sie hören sich sehr skeptisch an. Wir erwirtschaften tatsächlich Gewinne.«
Er lehnte sich mit einer Hüfte an den Schreibtisch; seine Augen funkelten belustigt und sein Gesichtsausdruck wirkte beinah eifrig. »Sie fahren tatsächlich Traktor? Sie können das?«
»Jede von uns kann das.« Ihre dunklen Augen sahen ihn an und zum ersten Mal kamen ihm ihr Lächeln und das Lachen, das damit einherging, wirklich echt vor. »Ich trage allerdings kein Kostüm, wenn ich landwirtschaftliche Maschinen bediene.«
»Ich wollte schon immer mal einen Traktor fahren«, vertraute er ihr mit einem knabenhaften Grinsen an. »Nur leider hatte ich nie die Gelegenheit dazu.« Er schüttelte den Kopf und fuhr sich mit der Hand durchs Haar, um es sorgfältig zu zerzausen, damit er nicht ganz so gepflegt, aber dafür umso charmanter wirkte.
»Dann werde ich Sie wohl mal auf die Farm mitnehmen müssen, solange Sie hier sind, damit Sie die Gelegenheit haben«, sagte Judith und wirkte dann eine Spur schockiert über ihre Einladung.
Er wusste, dass sie das impulsive Angebot bereute, sowie es ihr über die Lippen gekommen war. Er wartete einen Herzschlag.
Weitere Kostenlose Bücher