Hüterin der Seele -: Sea Haven 2 (German Edition)
sie es wusste, aber genau darin bestand das größte Problem. »Es mag ja sein, dass ich Angst habe – nein, mir graut sogar davor –, aber trotzdem bin ich … richtig beschwingt . Es kommt mir so vor, als sei ich aus einem langen Schlaf erwacht.« Sie sah Blythe in die Augen. »Ich hatte vergessen, was für ein gutes Gefühl es ist, von einem Mann erregt zu sein. Und zu wissen, dass er mich begehrenswert und schön findet.«
Es war so lange her. Sie hatte schon befürchtet, sie hätte als Frau einen bleibenden Schaden davongetragen, weil ihre Vergangenheit so tiefe Narben hinterlassen hatte, dass ihr Körper und ihre Seele sich weigerten, Männer überhaupt zur Kenntnis zu nehmen. Und nun hatte sie sich wie durch ein Wunder zu Thomas Vincent hingezogen gefühlt. Und wie. Mit einer glühenden Leidenschaft, die aus heiterem Himmel gekommen war und sie derart überwältigte, dass sie ihr jeden Funken Vernunft ausgetrieben hatte und sie jetzt in Hochstimmung war. Die Intensität dieses Gefühls war nicht zu fassen und ließ sich nicht bändigen. Sie konnte noch so oft tief durchatmen, aber auch das würde ihr nicht helfen. Sie wollte ihre Leidenschaft gar nicht zügeln. Sie wollte empfinden … alles fühlen.
»Die meisten Männer finden dich begehrenswert und schön. Du nimmst sie nur nicht wahr, Judith«, hob Blythe hervor. »Das sieht dir gar nicht ähnlich. Diese …«
» Intensität .« Judith beendete den Satz an ihrer Stelle. Sie berührte ihre Lippen, als ihr klar wurde, dass sie das Wort laut ausgesprochen hatte. Sie lachte leise. »Mir ist nach Tanzen zumute.«
»Ein bisschen beängstigend, meinst du nicht auch?« Blythe sprach mit sanfter Stimme.
»Ich weiß, Blythe, ich weiß, aber im Moment bin ich bereit, mit geschlossenen Augen von dieser Klippe zu springen. Morgen werde ich aufwachen und wieder Judith sein, verschlossen und auf Eis gelegt, aber heute Abend, nur für diesen einen Abend, möchte ich glauben, dass ich wieder leben kann.«
Blythe zog die Stirn in Falten. »Auf Eis gelegt? So hast du dich gefühlt? Als seist du gar nicht wirklich am Leben? Judith, ich dachte, du bist glücklich hier mit uns.«
»Das bin ich. Ich war es. Das ist nicht dasselbe, Blythe. Ich habe so hart daran gearbeitet, meine negativen Gefühle in mir zu verschließen. Glaubst du wirklich, irgendjemand sei rund um die Uhr immer nur freundlich und sympathisch? Ich lächele, auch wenn ich tief in meinem Innern schreien möchte. Manchmal bin ich frustriert und wütend wie jeder andere auch, aber ich kann es mir nicht leisten, diese Gefühle in Gegenwart anderer Menschen zu haben. Es ist zu gefährlich. Also unterdrücke ich sie und lächele und bin von vollendeter Freundlichkeit, damit niemandem etwas passieren kann.«
Judith sprang auf und lief umher. Sie wollte es. Sie war von ihrem Glück so berauscht, dass sie sich ein bisschen verrückt vorkam, und sie wusste, dass Blythe Angst um sie hatte. Das ließ sich im Moment nicht ändern. Starke Gefühle ließen sich nicht unterdrücken und jedes intensive Gefühl würde sich auf alle in ihrer näheren Umgebung auswirken. Die Nähe zu den Menschen, die sie liebte, war eine gute Idee, bis ihr Körper erwachte und sie sich innerlich nicht mehr tot fühlte. Wut und Kummer konnte sie für sich behalten, aber die reine Freude und das Bangen, aber auch der Umstand, dass sie sich so lebendig fühlte, wenn sie mit Thomas Vincent zusammen war – das ließ sich unmöglich verbergen. Sie quoll vor Freude über und, möge Gott ihr beistehen, sie brauchte es dringend, wieder wirkliche Gefühle zu haben, selbst wenn sie diese Gefühle nur in der Sicherheit ihres eigenen Hauses und nur für eine einzige Nacht auslebte.
Sie konnte nicht aufhören zu strahlen, obwohl Blythe sie bei ihrem unbeherrschten Benehmen beobachtete.
»Nur für diesen einen Abend. Nur für den Moment. In meinem eigenen Haus, wo es keine Auswirkungen auf jemand anderen haben kann, Blythe. Ich habe dich angerufen, weil du meine Gefühle annehmen kannst, ohne selber darauf zu reagieren. Ich muss mir diese eine Nacht vollkommenen Glücks gönnen.« Ihre Stimme klang flehentlich, aber auch daran ließ sich nichts ändern. Sie wollte wissen, dass sie durch und durch eine Frau war, und sie musste diesen unglaublichen Moment gemeinsam mit einem Menschen erleben, den sie liebte. »Bitte, freu dich für mich.«
Es war erstaunlich, sich wieder richtig lebendig zu fühlen – sich selbst als eine lebenssprühende,
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