Hüterin der Seele -: Sea Haven 2 (German Edition)
mit Außenstehenden nicht über unser Leben reden. Meine Schwestern und ich sind uns in einer Beratungsstelle begegnet, die eine Selbsthilfegruppe für Opfer eingerichtet hat.« Sie sah ihm kurz in die Augen und wandte den Blick gleich wieder ab. »Jede von uns ist – war – auf irgendeine Weise ein Opfer von Gewalttätigkeit. Mindestens zwei meiner Schwestern sind noch in Gefahr. Wir sind sehr vorsichtig, wenn es darum geht, wen wir auf die Farm lassen – und unsere Beschützerinstinkte sind sehr ausgeprägt. Es tut mir wirklich leid, Thomas.«
»Ich muss mich entschuldigen, Judith. Ich wollte nicht, dass du dich unbehaglich fühlst. Du hättest es mir nicht zu sagen brauchen, aber ich weiß zu würdigen, dass du es getan hast.«
Das war einerseits eine Lüge und andererseits doch keine. Der Teufel sollte dieses ganze Durcheinander holen. Sie war ihm gegenüber aufrichtig und ging in ihrer Aufrichtigkeit sogar so weit, ihm Dinge über ihre Schwestern zu erzählen, die sie ihm nicht erzählen konnte, ohne sich ihnen gegenüber schuldbewusst zu fühlen. Er hatte aktiv vorgehabt, ihr auf den Zahn zu fühlen, und er hatte sie vorsätzlich bedrängt, bis ihr gar nichts anderes mehr übrigblieb, als entweder zu lügen und ihren Gast in dem Glauben zu lassen, sie hielte ihn für paranoid, oder aber die Wahrheit zu gestehen. Natürlich war Lev mit einem Gewehr dort draußen, wenn jemand auf die Farm kam, und beobachtete ihn, aber es war nicht seine Absicht, die Frauen zu beschützen. Er tat es zu seinem eigenen Schutz. Lev sollte auch der Teufel holen.
Judith fuhr zu dem Schuppen zurück und parkte den geländegängigen Wagen. »Lass mich noch einen Blick auf deinen Nacken werfen.«
»Ein bisschen geschwollen ist er schon«, gab Stefan zu. »Und es brennt teuflisch, aber ich habe nicht das Gefühl, keine Luft zu bekommen. Das ist es doch, was du fürchtest, oder nicht?«
Judith stellte sich ganz dicht hinter ihn. Instinkte und jahrelanges Training, das ihm in den Knochen saß, führten dazu, dass er sich umdrehte und ihr Handgelenk packte, als sie die Hand hob, um den Stich zu untersuchen. Er zwang sich zu einem Lächeln und ließ seinen Daumen über ihre Haut gleiten, um blaue Flecken zu verhindern. Sie blickte mit einem verwirrten Blinzeln zu ihm auf.
»Reflexe sind etwas Teuflisches«, sagte er mit einem entwaffnenden knabenhaften Grinsen.
»Stell dich nicht so an. Zeig her.«
Er drehte sich halb um, wandte ihr sein Profil zu, ließ ihre Hand aber nicht los und zwang sie damit, seinen Nacken mit ihrer anderen Hand zu berühren. Er hatte sie in eine nicht allzu günstige Haltung gebracht, doch sie erhob keine Einwände. Ihre Finger strichen zart über seinen Nacken. Ihr sinnliches Streicheln ging ihm durch Mark und Bein. Seine Lenden strafften sich, als sie sich noch mehr zu ihm vorbeugte, um die Schwellung genauer zu inspizieren.
»Ich glaube, ein Teil des Stachels steckt noch drin, Thomas«, sagte sie mit besorgter Stimme.
»Was bedeutet das?«
Er konnte nicht klar denken und vielleicht war die Biene auch in seinen Kopf vorgedrungen, denn er konnte ein lautes Surren hören, das zu einem wahren Donnerhall anschwoll. Es dauerte eine Minute, bis er begriff, dass es sein Puls war, der so lautstark schlug. Sie hatte den Dreh raus, ihn aus der Bahn zu werfen, ohne ihn merken zu lassen, was passierte, bis es viel zu spät war, um sich gegen ihren Zauber zu schützen.
»Das bedeutet, ich werde ihn rausziehen müssen.«
»Können wir ihn nicht einfach drinlassen?«
Sie schlang ihren Arm um seine Taille und passte dabei genau unter seine Schulter. Eine schwache Brise regte sich in den Trompetenbaumgewächsen und lenkte seine Aufmerksamkeit auf das umherschwirrende Heer von Kolibris. Er würde diesen Spießrutenlauf hinter sich bringen müssen, um in Judiths Haus zu gelangen. Wer wusste schon, was sich sein abartiger Bruder sonst noch alles einfallen lassen würde, um ihn in der Hoffnung, dass er verschwand, zu martern.
»Nein, wir können ihn nicht drinlassen«, sagte Judith streng. »Und es schwillt wirklich an, Thomas. Ich muss den Stich möglichst schnell mit einer antiallergischen Salbe einreiben. Komm schon.«
Ohne jedes Zögern trat Judith auf den schmalen Pfad, der sich durch die dicht beieinanderstehenden Trompetenbaumgewächse schlängelte, während diese garstigen kleinen Vögel nur darauf warteten, Levs Anweisungen zu befolgen. Schon nach dem zweiten Schritt flogen die Vögel auf Stefans Kopf zu.
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