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Hüttengaudi

Hüttengaudi

Titel: Hüttengaudi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicola Förg
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Pirker. Er schien eine Art Hüttenmogul zu sein: Er kaufte Skihütten im ganzen Alpenraum – wenn man sich durch die Seiten klickte, waren sich die Objekte sehr ähnlich. Hütten, auf alt getrimmt. Altes Holz neu inszeniert. Stein, Holz und Glas. Alles sehr edel und doch gemütlich. Verschiedene Bereiche, keine Selbstbedienung. Hochwertige Speisen. Teure Weine. Eine große Auswahl an Kaffeespezialitäten. Immer wunderschöne Terrassen. Deckchairs und Strandkörbe. Lange Open-Air-Bars, Open Cooking in Riesengusseisenpfannen. Man bekam bei diesen Bildern Lust auf einen sonnigen Hüttennachmittag. Pirkers Hütten lagen in den renommiertesten Skigebieten – nur in Garmisch hatte er noch keine. Und die am Hausberg würde sicher sehr gut in sein Portfolio passen – so sagte man doch?
    Bei Zwetkow blickte Irmi nicht so genau durch. Seine Firma war ein richtiges Imperium. Irmi fand es erstaunlich bis erschütternd, wie viele Hotels in Österreich und der Schweiz bereits der Zwetkow-Gruppe gehörten oder wo Titus Zwetkow Anteile hatte. Titus, der Titan. Was wollte so einer mit einer kleinen Skihütte in Garmisch? Ein russischer Großinvestor? Vor ihrem inneren Auge stiegen ungute Bilder auf. Mafiöse Strukturen, Helfer und Helfeshelfer. Wenn die etwas mit dem Tod von Martin Maurer zu tun hatten, dann war das eine Nummer zu groß für sie!
    Irmi schaltete den Fernseher nur selten ein. Bei Krimis stellte sie meist voller Verwunderung fest, wie schnell ihre fiktiven Kollegen die Fälle lösten, wie ihnen Zufälle in die Hand spielten. Sie selbst brauchte erheblich länger als neunzig Minuten … »Der Adler« war da eine echte Ausnahme gewesen: neue Grenzen, eine neue Weltenordnung, neue Verbrechen. Die Spezialeinheit in Kopenhagen hatte Irmi fasziniert, zugegebenermaßen weil dieser Hallgrim ein verdammt schöner Mann war. Sie wusste nicht mal, wie der Schauspieler hieß, aber diese Serie hatte sie gepackt. Sie war abgetaucht wie nur selten, sie hatte wirklich hingesehen, die Figuren verstanden, nur zu gut. Dieser zerrissene Mann, nach außen cool, innerlich gebrochen. Nach jeder Folge hatte sie sich schwer getan, wiederaufzutauchen, nicht zuletzt wegen der großartigen Filmmusik. Sphärisch, irgendwie depressiv, ein Schwanken zwischen Hoffnung und Verzweiflung, dazu diese gigantischen Bilder aus Island.
    Sie gab in der Suchmaschine »Der Adler« und »Soundtrack« ein und rief das Video auf. Da war sie wieder, diese Stimme und die Kamerafahrt über die schroffe isländische Lavalandschaft. Und da war Hallgrim. Irmi starrte auf den Bildschirm. Sprengungen, sie stürmten Häuser, Zielfernrohre – nicht ihre Welt. Und immer wieder Hallgrim, der sie vom Bildschirm aus anzulächeln schien. Sein Lächeln erinnerte sie an ihn . Auch Hallgrim hatte kein Glück mit Beziehungen.
    »I … I’m a roamer in time, Throughout an endless journey. Home … Where is my home? Forgiveness.«
    Irmi klickte das Video zum zweiten Mal an, diese Musik hatte Suchtcharakter. Es hatte zwölf Folgen gegeben, die alle nach Motiven aus der griechischen Mythologie benannt waren. Eine kluge Entscheidung, anstatt sich in endlosen, immer konstruierteren Geschichten zu verlieren.
    Vergebung, Versöhnung – doch wem sollte sie vergeben? Martin?
    »Du hast also Zeit zum Fernsehen, klasse!«
    Irmi fuhr herum. Da stand Kathi. Blass, noch dünner. Wahrscheinlich hatte sie gar nichts mehr gegessen.
    »Was ist das denn für ’ne Musik? Bisschen strange, oder? Da kriegst du ja schon beim Zuhören Depressionen. Was ist hier los?«
    Irmi drehte sich ganz um. »Jede Menge. Ich habe eine Besprechung um drei anberaumt, die könnten wir aber etwas vorziehen, sobald Andrea und Sailer da sind.«
    Kathi starrte sie an. »So, so, die Andrea! Kannst ihr ja gleich meinen Job geben!«
    Kathi war wieder da, nicht zu überhören!
    »Bis gleich. Ich muss noch ein paar Seiten ausdrucken«, sagte Irmi in äußerster Beherrschung. Forgiveness, ein letztes Mal, dann erstarb die Musik.
    Andrea und Sailer kamen wenig später. Noch ehe Andrea etwas sagen konnte, stoppte Irmi sie: »Alles gleich nachher. In zehn Minuten im Besprechungszimmer!«
    »Okay?« Andrea zog das okay fragend in die Länge und trollte sich.
    Als sie sich alle versammelt hatten, war Irmi ganz ruhig. Entschlossen. Sie würden diesen Fall lösen, und dann würde sie Martin Maurer endgültig begraben. Kathi würde das nie verstehen, aber die Musik hatte sie in gewisser Weise befreit. Sie konnte wieder klar denken.

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