Huff, Tanya
Sie wußten beide, daß
es sinnvoller wäre zu wenden und nach der korrekten Seitenstraße zu suchen,
aber Vicki fühlte sich zum ersten Mal seit Tagen bequem und entspannt und
dachte nicht, daß ein paar zusätzliche Augenblicke einen Unterschied machen
würden. Sie verstand Celluci. Er war gekommen, um das Natürliche angesichts des
Übernatürlichen zu repräsentieren, und das hieß, daß sie bei ihm nicht auf der
Hut sein mußte, was sie bei Henry oder den Werwölfen nicht konnte. Wenn sie
wendeten und zurückfuhren, wäre das Zwischenspiel nur früher vorbei.
Sie wagte nicht zu
vermuten, was Mikes Gründe waren weiterzufahren.
Die Nebenstraße, in
die sie einbogen, endete nach sechs Kilometern in einem Bauernhof. Der Bauer,
der sich keine Mühe gab, seine Belustigung zu verbergen, erklärte ihnen den
Weg, während sein Hund den Hinterreifen markierte. Sie waren an der Abzweigung
nach Süden vorbeigefahren, da sie sie für einen Feldweg gehalten hatten.
„Hier hat's mehr
Schlaglöcher als auf der Spadina Avenue", murrte Vicki und wehrte den
Versuch der Decke ab, ihr auf den Kopf zu schlagen. „Glaubst du, du könntest
etwas langsamer fahren?"
„Halte einfach nach
der roten Scheune Ausschau."
Die rote Scheune war
entweder verfallen oder verblaßt; sie war auf jeden Fall nicht dort, wo der
Bauer gesagt hatte. Schließlich bogen sie an der zweiten Kreuzung nach Osten
ab. Die Straße machte nach zwei Kilometern eine sanfte, überhöhte Kurve und
ging Richtung Süden.
„So werden wir
schließlich wieder in London landen."
Mike seufzte. „Hat
hier noch niemand was von Straßenschildern gehört? Da ist ein Gebäude. Mal
sehen, ob wir diesmal eine verständliche Wegbeschreibung bekommen."
Sie waren schon in der
Auffahrt, als Vicki das Farmhaus erkannte.
„Schon wieder verirrt,
Ms. Nelson?" Carl Biehn kam zur Beifahrerseite des Wagens, während er sich
die Erde von den Händen klopfte.
Vicki lächelte zu ihm
hoch. „Diesmal nicht." Sie wies mit dem Daumen über die Schulter. „Er ist
gefahren."
Carl bückte sich, um
in den Wagen sehen zu können, und nickte Mike zu, der zurücknickte und sagte:
„Wir scheinen die falsche Abzweigung genommen zu haben."
„Das ist leicht auf
dem Land", erklärte der alte Mann und richtete sich auf.
Vicki fand, er sähe
müde aus. Er hatte Ringe um die Augen, und die Falten an den Mundwinkeln hatten
sich vertieft. „Probleme?" fragte sie und wunderte sich, warum er
zusammenzuckte.
„Nein. Keine
Probleme." Er rieb an getrocknetem Schlamm an seinem Daumen herum und
machte dabei Waschbewegungen mit den Händen.
„Na, na. Schon wieder
verirrt, Ms. Nelson?" Die Worte waren identisch, aber der Tonfall war
gerade eben keine Beleidigung. „Ich glaube, Sie müssen sich der Tatsache
stellen, daß manche Menschen nicht für das Landleben gemacht sind."
Vicki erwog, ein
Lächeln zu erwidern, das genauso falsch war wie das, das Williams ihr schenkte,
beschloß aber, sich nicht die Mühe zu machen. Sie mochte ihn nicht; es war ihr
egal, ob er das wußte.
Er schob sich an Biehn
vorbei und beugte sich in den Wagen, wobei er die Hand auf die Kante des
offenen Fensters stützte. „Ich sehe, heute ist es Ihnen gelungen, jemand
anderen in die Irre zu führen." Seine linke Hand schob sich an Vicki
vorbei ins Auto. „Mark Williams."
„Mike Celluci."
Sie schüttelten
einander kurz die Hände. Vicki spürte die Versuchung, in den gebräunten Arm zu
beißen, als er zurückgezogen wurde. Sie hielt
sich zurück; offenbar
hatte die Zeit, die sie mit den Werwölfen verbracht hatte, ihr Denken
beeinflußt. Außerdem stehen die Chancen gut, daß ich mir dabei etwas
Ekelhaftes einfange.
„Was ist mit Ihrem
Kopf passiert?" Williams klang besorgt.
„Ein Unfall." Es
ging ihn nichts an.
„Sie wurden aber nicht
schlimm verletzt?" Carl Biehn spähte mit gerunzelten Brauen über die
Schulter seines Neffen.
„Nur eine Beule",
versicherte Vicki. Er nickte, und sie warf Mark einen Blick zu, der ihn vor
weiteren Fragen warnte.
„Wir suchen den
Heerkens-Hof." Mike trug seine neutrale Miene zur Schau - nicht
freundlich, nicht unfreundlich, einfach nur da. Vicki hatte eine ähnliche. Sie
machte sich nicht die Mühe, sie anzunehmen.
„Kein Problem. Drei
oder vier Kilometer diese Straße hinunter, dann die erste links. Ihr Weg ist
etwa zwei Kilometer weiter." Er lachte. Sein pfefferminzduftender Atem
strömte in den Wagen. „Es sind dann nochmal zwei Kilometer, wenn Sie
Weitere Kostenlose Bücher