Huff, Tanya
was zum Teufel grinst du so?"
Der Fahrer steuerte die dunkle Limousine über die Lion's
Gate Bridge in Richtung Nord-Vancouver, und sein Lächeln wurde noch breiter.
„Es
freut mich immer, wenn jemand das Leben auf der Straße
hinter sich lassen kann."
Dürre Arme schlangen sich um den Beutel. „Ja, ja. Du bist
ein guter Samariter." Ein mißtrauischer Blick fiel auf das Armaturenbrett.
„Hattest du letztes Mal nicht einen grauen Wagen?"
„Du denkst doch nicht, ich fahre bei dieser Sache mein
eigenes Auto?" Der Ton war spöttisch, überlegen.
„Nein. Wohl nicht."
Schweigend fuhren sie die North Shore entlang, und außer
dem leisen Summen der Klimaanlage war nichts zu hören. Als der Wagen vom Mt.
Seymour Parkway in die Mt. Seymour Road abbog, rutschte der Teenager nervös auf
dem Beifahrersitz herum. „Willst du mir nicht die Augen verbinden oder
so?"
„Warum?"
„Damit ich ... du weißt schon: Damit ich niemandem etwas
erzählen kann."
„Wem willst du denn etwas erzählen?" kam die ruhige
Gegenfrage.
„Niemandem! Verdammt..." Im Gegensatz zur
landläufigen, romantisierenden Ansicht über das Leben auf der Straße lernten
die, die sich dazu wirklich gezwungen sahen, selten etwas über das wirkliche
Leben. Die einzige Lektion, die die Überlebenden einer solchen Existenz gelernt
hatten, war die des Überlebens. Wer diese Lektion nicht beherrschte, war per
Definition nur noch eine traurige Ziffer in einer noch traurigeren Statistik.
Der Junge im Wagen sah sich als Überlebenskünstler. Was eine Drohung war, das
wußte er. Der Gorilla am Steuer bestand plötzlich aus viel mehr als nur den
großen, freundlichen Hundeaugen.
Schweißnasse Handflächen hinterließen auf dem billigen
Nylon feuchte Abdrücke. Ohne recht etwas zu sehen starrte der Teenager durch
die getönte Windschutzscheibe und erging sich in schönen Phantasien darüber,
wie er dem Fahrer eins in die selbstzufriedene Fresse gab. Erst als sie durch
ein Tor fuhren und in eine Privatstraße einbogen, nahm er seine Umgebung wieder
wahr, und seine Augen weiteten sich ein wenig. Sie wurden noch größer, als die
Klinik in Sicht kam.
„Das sieht aber nicht wie ein Krankenhaus aus."
„Stimmt." Am Ende der Auffahrt verkündete ein Schild:
„Nur für Angestellte". „Unsere Kunden haben ungern das Gefühl, in einem
Krankenhaus sein zu müssen. Für die Illusion, daß sie das nicht sind, blättern
sie ziemlich viel auf den Tisch."
„Was für Kunden habt ihr denn, Mann?" Der Fahrer
lächelte: „Reiche."
Reiche. Der Junge streichelte die Bündel, die sich durch
das dünne Material ertasten ließen. Reiche Leute - so wie er.
Eine gängige Polizeiregel besagt, daß persönliche Besuche
mehr an Informationen zutage fördern als Telefongespräche. Gestik und Mimik
lassen sich nicht so leicht verstellen wie die Stimme, und dann geben Details
in der Umgebung des Befragten oft unverzichtbare Hinweise. Michael Celluci
stieß die Tür auf, die zu den Büroräumen der British Columbia Transplant
Society führte, und ihm ging durch den Kopf, wie wenig bei diesem „Fall"
mit gängigen Polizeiregeln zu tun hatte. Aber wenn man es recht bedachte, hatte
er sonst nichts zu tun.
„Kann ich Ihnen behilflich sein?" Die Frau hinter dem
Empfangstresen der BC Transplant Society fixierte Celluci mit dem stählernen
Blick der professionellen freiwilligen Helferin, die sich durch nichts
beeindrucken läßt. Celluci bekam das deutliche Gefühl, auf eventuelle
Nützlichkeit überprüft zu werden und meinte die Gedanken der Frau förmlich zu
hören: Muskeln, wie schön! Wir müssen doch bestimmt irgendwas rücken.
„Ist Ronald Swanson da?"
Die Augen der Frau verengten sich. „Geht es um diese
Frau?"
„Wenn Sie sich auf das Interview beziehen ..."
„Seit ich meinen Dienst angetreten habe, sind Sie der
vierzehnte, der danach fragt - die anderen dreizehn haben sich allerdings mit
einem Anruf zufriedengegeben." Auf den gepuderten Wangen der Frau zeichneten
sich hektische rote Flecken ab. „Jetzt sage ich Ihnen, was ich den anderen auch
schon gesagt habe: An dem, was Patricia Chou da behauptet, ist nicht ein
Körnchen Wahrheit, und man sollte sie vor Gericht stellen für die Verbreitung
dieser schrecklichen, schrecklichen Geschichte. Jedes gespendete Organ geht
direkt an die Person auf der Warteliste, die es am dringendsten braucht. Ein
Organ wird nie an den Meistbietenden verkauft!"
Celluci fühlte sich zu Unrecht angegriffen, breitete
versöhnlich beide Arme
Weitere Kostenlose Bücher