Huff, Tanya
vernahm. „War es okay zu telefonieren?"
„Warum denn nicht? Quer übers Land oder quer über den
Flur, das ist letztlich dasselbe."
Er fehlt dir, nicht? Aber Celluci war nicht dumm genug,
diese Frage zu stellen. Fitzroy konnte ihr gar nicht fehlen — der untote
königliche Schweinehund war ja immer noch vorhanden -, ihr fehlte, was sie
einst gemeinsam gehabt hatten, und daran wollte er sie nicht erinnern. Ihn
freute sie ja, die eindeutige Gewißheit, daß die beiden ihre alte Beziehung nie
wieder würden aufnehmen können. Aber er mochte auf keinen Fall als
selbstgefälliges, unsensibles Arschloch dastehen.
„Mußt du trinken?" fragte er statt dessen.
Die Melancholie verflog umgehend. Vicki grinste, und ihre
Augen glänzten. „Ich esse heute auswärts."
„Ach ja, stimmt." Unter dem Strich fand Mike den
Gedanken, Vicki könne sich am Blut der Gangsterbosse Vancouvers satt saufen,
viel weniger problematisch als ihre sonstigen, sanfteren Mahlzeiten. An die
Nächte, in denen diese stattfanden, dachte er ungern. Er sprang auf und gesellte
sich zu Vicki, die schon auf dem Weg zur Tür war. „Wenn du einen Moment
wartest, komme ich mit. Tony arbeitet bis neun. Ich schau mal im Videoladen
vorbei und frage ihn, ob er mit mir essen geht." Als sich beide Brauen der
Freundin fragend hoben, seufzte Mike. „Früher hatte das Wort ,Essen' nie all
diese doppelten Bedeutungen!"
Vicki hatte sich schon halb umgewandt, um etwas zu
erwidern; Celluci hatte die Wohnungstür bereits verschlossen, und als die
beiden merkten, daß sie nicht allein im Flur standen, war es zu spät für alles,
was nicht nach Rückzug oder Flucht ausgesehen hätte.
„Henry."
„Vicki."
Scheiße! Aber noch hört sich das nach normaler
Konversation an, vielleicht kommt es ja nicht zum Desaster. Beide trugen
schwarze Jeans und schwarze T-Shirts; Vicki dazu Turnschuhe und einen schwarzen
Baumwollpullover. Celluci wußte, daß der Pullover aus Baumwolle war: Er hatte
ihn für die Freundin gekauft. Fitzroy trug halbhohe Leinenschuhe und einen
schwarzen Leinenblazer. Celluci wußte, daß der Blazer aus Leinen war: Er hatte
zu Hause genau denselben und würde ihn sofort wegwerfen, wenn er wieder nach
Toronto kam. Henry und Vicki sahen einander sehr ähnlich; wie sehr, fiel
Celluci nun zum ersten Mal wirklich auf.
An der Kleidung lag es nicht. Tausende von
Möchtegern-Vampiren überall auf der Welt kleideten sich mit mehr untotem Stil
als diese beiden.
Es lag auch nicht an der Haut und den Haaren. Zwar waren
beide blond, aber Fitzroys Haar wies einen deutlichen Rotton auf, und Vicki war
aschblond. So stand es jedenfalls auf der Packung mit dem Färbemittel.
Es war - nur, einfach, simpel, ganz und gar - ihre Art.
Beiden war eine Bellezza mortale zu eigen, eine tödliche Schönheit. Celluci
hätte nicht sagen können, warum ihm der Begriff zuerst auf Italienisch in den
Kopf kam, in einer Sprache, in der er nie zu denken pflegte und bei der es ihm
gerade für den Hausgebrauch reichte. Aber Englisch, das schlichte, alltägliche
Englisch, schien hier einfach unangebracht.
Es war nicht nur die tödliche Schönheit; beiden war ein
vollständiges und unerschütterliches Bewußtsein über den eigenen Wert und den
eigenen Platz in der Welt zu eigen.
An Selbstsicherheit hatte es Vicki nie gefehlt. Aber schon
ihr erster Blick auf Henry hatte damals ihre simple, alle Einwände in den Wind
schreibende Gewißheit, mindestens ebenso richtigzuliegen wie jeder andere
auch, noch einmal neu definiert und zu einer rasiermesserscharfen Klinge werden
lassen. Fitzroy hatte diese Selbstgewißheit natürlich immer schon besessen -
eines der Dinge, die Celluci von jeher an ihm gehaßt hatte, auf das er immer
reagiert hatte.
Mikes Herz schlug im Takt mit dem Kraftfeld, das sich
zwischen Henry und Vicki aufgebaut hatte. Das sie und ihn umgab. In diesem
Moment, auf diesem Flur, bei der Betrachtung dieser beiden, die einander genau
beobachteten, verstand der Detective die Verkündigung: Ich bin.
Damit reicht es jetzt aber auch! Mit italienischen
Definitionen, die unerwartet aus dem Nichts in seinem Kopf auftauchten, konnte
Mike umgehen; Blasphemie war eine andere Sache. Vater, vergib mir, denn ich
habe gesündigt; vor zwei Jahren habe ich zuletzt gebeichtet, aber das liegt nur
daran, daß ich mit einer Vampirin schlafe. Ja. Klar.
Als ein paar musikalische Klänge die Stille erschütterten,
hob der Detective erst den rechten Fuß, schob ihn vor, setzte ihn ab und
wiederholte
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