Huff, Tanya
einem breiten Grinsen wandte Mike sich um. „Ich suche
nach irgendwem, der mir helfen kann! Ich habe mich heillos verfahren." Der
Mann in dem roten Hemd war etwas größer als Celluci, was dem Detective nicht
oft geschah. Ist das nicht wieder einmal typisch? Daß es mir ausgerechnet jetzt
passieren muß? Der Mann zeigte Formen, die Celluci vertraut waren und die er
ganz sicher während seiner Haftzeit durch intensives Hanteltraining erworben
hatte: ein eindrucksvoller muskulöser Oberkörper ruhte auf den Beinen eines
ganz normalen Typen. In dem streitlustig verzogenen Gesicht wirkten die großen
braunen Augen ein wenig fehl am Platz; die 9-Millimeter-Halbautomatikpistole,
die er auf Celluci gerichtet hielt und die in seiner riesigen Faust fast völlig
verschwand, schien dafür umso besser zu passen.
Celluci hoffte immer noch, sich aus dem Schlamassel, in
den er geraten war, irgendwie herausreden zu können - was immer dieser
Schlamassel auch sein mochte. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er erstaunt auf die Pistole. „He! Was soll die
Knarre?"
„Sie standen so, daß Sie die Klinik beobachten konnten.
Sie sind mir hierher gefolgt. Sagen Sie mir, was los ist."
„Ich weiß nicht, wovon Sie reden! Ich bin ein Urlauber aus
Toronto, der sich auf der Suche nach dem Motel hier im Nationalpark verfahren
hat!"
„Werfen Sie mir Ihre Brieftasche zu."
„Ah! Ich verstehe! Ich verstehe! Hier bin ich am Arsch der
Welt und werde überfallen!" Mike zog seine Brieftasche aus der hinteren
Hosentasche und warf sie dem anderen vor die Füße. Die Lederhülle mit der
Dienstmarke ließ er wohlweislich stecken. Er hatte eine Chance. „Wollen Sie
auch die Schlüssel für den Bus? Bedienen Sie sich ruhig, der verbraucht
ohnehin zuviel Sprit!"
„Schnauze." Sanft blickende Augen wichen keinen
Moment von Mikes Gesicht. Der Mann mit der Knarre ging in die Knie und griff
sich die Brieftasche. Sorgfältig untersuchte er jedes Fach und sah sich alle
Kreditkarten genau an, wobei er sich aber nie so weit ablenken ließ, daß Celluci
auch nur eine einzige Bewegung hätte wagen können.
Dann schob er einen Finger tief in die Innenhülle der
Brieftasche und zog eine Fotografie heraus. Seine Lippen verzogen sich zu einem
triumphierenden Grinsen, und tief in den treuen Hundeaugen leuchtete etwas
auf. „Ist das da ihre Oma da neben Ihnen, Officer Celluci?"
Neun
Noch ehe der Tag ihn völlig freigab, spürte Henry, wie die
Kälte in einer makabren Parodie von Liebkosungen eines geliebten Menschen frostige
Muster auf seine Haut zeichnete. Er öffnete die Augen, und ihm war, als könne
er die eisigen Ströme förmlich sehen, die durch die Luft trieben wie
Kältenebel im Winter.
Er wußte, daß Henry wach war. Henry spürte, wie er
wartete.
Verärgert runzelte er die Stirn, schaltete die
Nachttischlampe ein und setzte sich auf.
Er hatte sich geirrt: Nicht er wartete, sie warteten.
Der zweite Geist war ein wenig jünger als der erste. Nicht
Mitte zwanzig, sondern eher noch nicht ganz zwanzig. In einem Nasenloch
glitzerte ein Metallring. Der elfenbeinfarbene Totenkopf auf dem ärmellosen
schwarzen T-Shirt, das diese neue Erscheinung trug, grinste Henry an, als
wisse er die Ironie - ein Toter trägt einen Totenkopf auf der Brust - zu würdigen.
Soweit Henry das beurteilen konnte, war dieser neue Geist anatomisch
vollständig: Er hatte beide Hände behalten dürfen.
„Lieber Herr Jesus ..." Henry war sofort klar, daß er
diese Worte nicht hätte laut aussprechen dürfen, aber da war es bereits zu
spät.
Aus den offenen Mündern - weit offener, als in den Grenzen
von Haut und Knochen eigentlich möglich - drang nicht ein einziger vernehmbarer
Laut, und doch schrieen die beiden; Schreie, die das Ohr zwar nicht, die Seele
dafür um so deutlicher hören konnte.
Henrys Herz fing an zu rasen, bis es fast so schnell
schlug wie das eines Sterblichen. Dann packte ihn die Wut und verschaffte ihm
eine Barriere gegen all das Elend, das ihn umgab. Wie konnten sie es wagen, ihm
die Verantwortung für die Leben in seiner Umgebung aufzubürden! Wie konnten sie
es wagen, sich seine Hilfe durch Erpressung zu erkaufen! Wie konnten sie wagen
... in diesem Moment drang ein unterdrücktes Stöhnen an das Ohr, an das die
Schreie der Geister nicht hatten vordringen können. Das Stöhnen kam aus dem Flur
und klang so verzweifelt, daß Henry mit einem Satz aus dem Bett sprang und in
Windeseile das Schlafzimmer durchquerte. Tony ... unbeholfen - Henry
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