Huff, Tanya
Herausforderung reagierte.
Sie wollte nicht, wollte an dem zerbrechlichen Waffenstillstand festhalten, den
das Abschlachten und der Sex danach zuwege gebracht hatten. Nicht nur, weil das
beweisen würde, daß sie die ganze Zeit recht gehabt hatte; daß es durchaus friedliche
Koexistenz zwischen Vampiren geben konnte. Nein, sie wollte es auch, weil es
hier um Henry ging und sie ihn - das,
was sie einst gehabt hatten - zurückbegehrte. So leicht
gebe ich nicht auf! rief sie der ganzen Welt warnend zu. Wir werden miteinander
auskommen, und wenn ich ihn dafür umbringen mußt Sie hielt Henrys Blick stand
und zwang ihre Instinkte, aufzugeben und sich wieder der bewußten Kontrolle
unterzuordnen. „Nein", sagte sie, als sie sicher war, ihrer Stimme trauen
zu können. „Ich wollte dir nicht drohen."
Das Telefon klingelte.
„Das wird Celluci sein, der sich zurückmeldet.
Entschuldige." Der Bleistift, den Vicki immer noch in der Rechten hielt,
zerbrach, aber sie schaffte es, den Blickkontakt zu Henry abzubrechen, sich
umzuwenden und abzunehmen. Das war knapp gewesen. Wenn Henry es darauf anlegte,
würde er die hauchdünnen Barrieren durchbrechen, die ihr heftiges Bedürfnis,
ihm an die Kehle zu gehen, mühsam in Schach hielten. Aber zumindest diesmal
war es ihr gelungen, sich nicht irgendwelchen biologischen Gegebenheiten zu
unterwerfen. Sie hatte sich ihnen nicht unterworfen, als sie noch bei Tage
gelebt hatte und wollte verdammt sein, wenn sie ihnen gestattete, sie jetzt zu
beherrschen, wo die Sonne für sie für immer gesunken war. Es war, wie es so
schön hieß, Zeit, die Nacht zurückzuerobern. Der Hörer ächzte unter ihrem
Griff, hielt aber stand.
„Was?"
Henry schaffte es mühsam, sich umzudrehen und aus dem
Zimmer zu gehen, wobei er sich bei jedem Schritt ins Gedächtnis rufen mußte,
daß er mitnichten das Revier, das er für sich beanspruchte, einer anderen
überließ. Zu seiner großen Verwunderung fiel ihm das leichter als in früheren
Nächten. Die alte Weisheit von der Übung, die den Meister macht, schien sich
wieder einmal zu bewahrheiten. Wie bei den meisten Dingen im Leben - selbst im
Leben eines Unsterblichen. Die Hacken seiner Lederschuhe knallten auf den
Fliesen aus mexikanischem Schiefer, mit denen in dieser Wohnung der
Eingangsflur ausgelegt war, und Henry konnte feststellen, daß bei ihm die
Vernunft wieder Oberhand gewonnen hatte. Es ist Vicki, erklärte er seinem Bild
in dem goldgerahmten Spiegel neben der Tür. Sie will dein Revier gar nicht.
Sein Spiegelbild antwortete mit einem schiefen Grinsen. Es
ist Vicki -damit war im großen und ganzen auch schon alles gesagt. Vicki war
schon als Sterbliche einmalig gewesen - nichts, was sie jetzt tat, konnte Henry
wirklich überraschen. In der kurzen Zeit, die ihnen zusammen vergönnt gewesen
war, hatte er Dinge getan, die er, auf sich allein gestellt, zu tun nie auch
nur in Erwägung gezogen hätte. Vielleicht ist es wirklich nicht notwendig, das
Kind mit dem Bade auszuschütten. Nun sollte man Henry keineswegs mit Paulus
auf dem Weg nach Damaskus verwechseln, aber dennoch kam seine letzte Erkenntnis
einer Offenbarung sehr nahe. Vielleicht, wiederholte er nachdenklich im Geiste.
„Das war nicht Celluci. Das war jemand, der nicht wußte,
daß Ms. Evans tot ist."
Henry trat zurück unter den Rundbogen, der das Wohnzimmer
vom Eingangsbereich trennte. Im Interesse gegenseitiger Aggressionsfreiheit
ging er keinen Schritt weiter. „Du machst dir Sorgen um ihn."
„Mann, Sherlock: welche Erkenntnis!" Sie hielt beide
Hände gegen die Fensterscheibe gepreßt und starrte auf die Stadt hinunter, in
diesem Moment einmal nicht das Raubtier, das auf seine Beute hinunterstarrt.
„Warum?"
„Ich weiß nicht. Ich habe nur..." Peinlich berührt
zuckte sie die Achseln.
„So eine Ahnung?" Henry wünschte, er hätte das Zimmer
durchqueren und sich neben Vicki stellen können.
„Ja, eine Ahnung. Nicht gerade sehr vampirgerecht,
oder?"
„Wenn du diese Ahnung hast, schon."
Vicki fuhr herum, starrte Henry verblüfft an und hob eine
Hand zu der Brille, die sie gar nicht mehr trug: Die Erinnerung an eine noch
nicht ganz vergessene Geste. „Machst du dich lustig über mich?"
„Nein. Tue ich nicht." Aber er verstand, warum das
für sie so geklungen haben mochte. „Vicki, niemand hat dir je gesagt, wie du
Mensch sein sollst. Du warst Mensch, indem es dich gab. Laß dir von niemandem
sagen, wie du das, was du jetzt bist, zu sein hast."
„Nicht einmal von
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