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Huff, Tanya

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Titel: Huff, Tanya Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blood Ties 05 - Blutschuld
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auf und gehörte zu den
düstersten, die Vancouver zu bieten hatte. Theoretisch zahlte hier das
Sozialamt einen Gutteil der in den Haushalten anfallenden Rechnungen; die
Realität sah nicht ganz so wohlgeordnet aus.
    Die Trennungslinie zwischen Besitzenden und Habenichtsen
verlief erstaunlich abrupt. An einer bestimmten Kreuzung ließ Henry die Lichter
und Touristenattraktionen von Gastown hinter sich und fuhr von da ab an
verlassenen, mit Sperrholz verrammelten hohen Steinhäusern entlang, die einst
die Stammfilialen der sieben wichtigsten internationalen Banken beherbergt
hatten und nun Schulter an Schulter mit schäbigen Hotels und Pensionen ihr
Dasein fristeten. Diese Straßen waren in den 40er und 50er Jahren das sehr
lebendige Zentrum der Stadt gewesen; aber dann war der Kern dieses Zentrums
abgewandert und hatte lediglich architektonische Hüllen hinterlassen.
    Sie fuhren die Cordova Street entlang, in der Hotels und
heruntergekommene Bars die einzigen funktionierenden Betriebe zu sein
schienen,

und Tony warf Henry einen Seitenblick zu und runzelte die
Stirn, als er sah, wie der Vampir dreinschaute. „Was ziehst du so ein Gesicht?
Hier gibt es doch nichts, womit du nicht spielend fertig wirst."
    „Trotzdem", erwiderte Henry trocken, „mache ich mir
ein wenig Sorgen darüber, wo ich den Wagen parken soll."
    Tony schnaubte. „Da es sich bei deinem Wagen um einen BMW
handelt, würde ich mir sogar ziemlich große Sorgen machen."
    Ein unrasierter Mann, bekleidet mit einem
Schlafanzugoberteil, einer Anzughose und Badelatschen aus Gummi, trat vom
Bürgersteig auf die Fahrbahn, schenkte dem Quietschen verschiedener Reifenpaare
keinerlei Beachtung und wanderte ein wenig ziellos im Zickzack über die Straße.
    Henry verfolgte den Weg des Mannes sorgsam und trat erst
wieder auf das Gaspedal, als ihm das sicher genug erschien. „Noch zehn
Zentimeter, und ich hätte ihn erwischt."
    „Er hätte es wahrscheinlich noch nicht einmal
mitbekommen."
    Je näher sie dem Jugendzentrum kamen, desto dichter
drängten sich die Menschen auf den Bürgersteigen. Eine Gruppe kanadischer
Indianer im Teenageralter lehnte am mit Maschendraht gesicherten Fenster eines
Supermarktes, der wirkte, als befände er sich in einem Bürgerkriegsgebiet, und
verfolgten unverwandt das Näherkommen des BMW, wobei sie die Köpfe völlig
synchron bewegten.
    „Schließ ihn nicht ab", riet Henry, als Tony sich
vorbeugte, um den Knopf der Beifahrertür herunterzudrücken.
    „Spinnst du?"
    „Nein, ich hätte es nur nicht gern, wenn die Fenster
kaputtgeschlagen werden. Wenn jemand die Tür öffnet, bin ich hier, ehe sie den
Wagen irgendwo hinfahren können."
    Das Jugendzentrum befand sich neben einem Hotel, das den
stolzen Namen Wappen von Cordova trug.
    „Hier wohnen wirklich Menschen?" murmelte Henry und
starrte nachdenklich an der Vorderseite des Gebäudes hoch.
    „Das Leben in dieser Stadt ist teuer, Mensch",
erwiderte Tony, der sich alle Mühe geben mußte, den Rücken geradezuhalten und
nicht in den altvertrauten Gang mit den hochgezogenen Schultern zu verfallen.
„Wo sonst kann sich einer die Miete erlauben, wenn er von Sozialhilfe
lebt?"
    Henry hatte im Laufe der Jahrhunderte sicher Schlimmeres
gesehen. Aus einer historischen Perspektive betrachtet wirkte die Gegend weder
besonders gewalttätig noch besonders verarmt. Das einzige Problem war

die Tatsache, daß es sich nicht um das 15. Jahrhundert
handelte. Henry hatte in diesem Viertel nie gejagt und würde das auch nie tun -
anders als die meisten vierbeinigen Raubtiere zog er es vor, sich nicht von den
Verletzten und Kranken zu ernähren.
    Vorsichtig kletterten die beiden über die Beine eines lang
ausgestreckt auf dem Bürgersteig schlummernden Betrunkenen und beschleunigten
ihr Tempo, als im Zuge einer warmen Brise der durchdringende Geruch nach altem
Urin und frischem Erbrochenen an ihren Nasen vorbeistrich.
    Im Vergleich zur Straße war das Zentrum so sauber, daß es
fast schon wehtat. Die Inneneinrichtung aus Sperrholz und Plastikmöbeln mochte
auf einen Mangel an Geldmitteln hinweisen, aber sicher nicht auf einen Mangel
an Engagement.
    In der Tür blieb Tony wie angewurzelt stehen.
    „Alles in Ordnung?" fragte Henry leise. Er war hinter
den Freund getreten und hatte diesem beide Hände auf die Schultern gelegt.
    „Ja. Nein. Es sind nur all die Erinnerungen ..." Tony
schüttelte Henrys Hände ab und trat einen Schritt vor, wobei er versuchte,
keinen Anstoß an der Tatsache zu

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