Huff, Tanya
verrichten, die dann letztlich vielleicht doch zur
Anklageerhebung führen könnten. Wenn
Victory' Nelson aussah, als hätte dieses Gefühl sie gepackt, stellte sich ihr niemand in den Weg.
Gerade jetzt, unter den gegebenen Umständen, wäre Mike
jedes ande re Gefühl lieber gewesen als das, das Vicki so deutlich
zur Schau stellte. Trauer, Wut, selbst Hysterie, auf die sie
nach Meinung des Kollegen Fer gusson unter den gegebenen Umständen ja auch jegliches
Recht hatte - alles wäre besser gewesen als
diese Art, sich in sich selbst zurückzuzie hen. Hier ging es nicht nur um einen Fall, hier durfte es nicht nur um einen Fall gehen!
„Hallo!" Mike streckte die Hand aus und berührte
Vickis Arm. Unter der blauen Kostümjacke fühlten sich ihre Muskeln steinhart an.
„Alles klar?"
„Mir geht es
prima."
Ja, klar. Aber mit einer anderen Antwort hatte Mike
gar nicht gerechnet.
„Na gut." Mr.
Hutchinson senior rückte auf die Vorderkante seines Stuhls,
legte die Unterarme auf die Schreibunterlage, die seinen Tisch schützte, und faltete
die Hände. „Ich möchte Ihnen versichern, daß wir Sie bei der Aufklärung dieser unglücklichen Angelegenheit nach besten Kräften unterstützen werden. In all den Jahren, in
denen Hutchinsons Bestattungsinstitut schon den Menschen in Kingston zu
dienen bemüht ist, ist uns so etwas
Schreckliches noch nie widerfahren. Bitte glauben Sie uns: Sie haben unser Mitgefühl. Wir werden alles
in unserer Macht Ste hende tun, die
Angelegenheit in Ordnung zu bringen."
Vicki begnügte sich mit einem Nicken, das
ihre Zustimmung zum Ausdruck bringen sollte. Sie wußte, wenn sie jetzt den
Mund auftat, würde sie ihn so schnell nicht wieder schließen können.
Am liebsten hätte sie der Poli zei von Kingston den Fall aus den
Händen gerissen, selbst die Fragen gestellt, selbst aus den
winzig kleinen Einzelheiten die Identität des Vandalen rekon struiert,
der es gewagt hatte, den Leichnam ihrer Mutter zu schänden, und wenn
sie erst einmal wußte, wer es gewesen war ...
Es war ihr klar, daß Mike sie beobachtete und befürchtete, sie
würde sich einmischen, auf Antworten
drängen, die örtlichen Polizeikräfte einfach übergehen. Aber so etwas Unkluges
hatte Vicki nicht vor. Sie lebte jetzt
bereits zwei Jahre ohne Dienstmarke und hatte gelernt, wieviel sinn voller es ist, ein wenig Geschick walten zu
lassen, und in der Zusammen arbeit mit Henry hatte sie deutlich
erfahren, daß sich Gerechtigkeit oft außerhalb
des gesetzlichen Rahmens einfacher finden ließ als innerhalb.
„Gut, Mr. Hutchinson." Fergusson
überflog die Notizen, die er sich ge macht hatte, und rutschte auf der Suche nach
einer bequemeren Position hin und her. „Mit Ihrem Fahrer und mit Ihrem Neffen,
dem anderen Mr. Hutchinson, haben wir schon gesprochen. Wir können mit der Ankunft
der Leiche in Ihrem Haus weitermachen."
„Ms. Nelson, für
Sie ist das sicher sehr schmerzlich ..."
„Ms. Nelson war vier Jahre lang Detective der
Mordkommission von Toronto, Mr. Hutchinson." Fergusson
hatte zwar selbst seine Zweifel, was die Anwesenheit der jungen Frau betraf,
würde aber einem Außenstehen den gewiß nicht gestatten, ein Urteil
über ein ehemaliges Mitglied seines
Vereins zu fällen. „Sie kann damit umgehen, wenn Sie
etwas für sie Schmerzliches aussagen. Also:
als der Leichnam ..."
„ja,
also, als sie ankam, wurde die Verstorbene in unseren Vorberei tungsraum gebracht. Der Vertrag, den die Verstorbene
mit uns abge schlossen hatte,
verfügte eine Einbalsamierung, auch wenn die Aufbahrung in einem offenen Sarg
nicht vorgesehen war."
„Ist das nicht außergewöhnlich? Daß jemand einbalsamiert,
aber nicht aufgebahrt werden möchte?"
Mr. Hutchinson lächelte, und die Falten in seinem
Gesicht wurden zu Gräben. „Nein. Vielen Menschen ist es lieber, nach dem Tode
nicht an gegafft zu werden; sie wollen aber, wie soll ich es
sagen: so gut wie mög lich aussehen. Viele wissen, daß Freunde und
Verwandte einen letzten Blick auf sie werden werfen wollen, ganz
gleich, was man geplant hat. So war es ja in diesem Fall."
„Verstehe. Also
wurde sie einbalsamiert?"
„Ja. Zum großen Teil hat das mein Neffe
erledigt; er hat den Leichnam desinfiziert und das Gewebe
massiert, um das Blut aus den Extremitäten zu entfernen. Er hat die
Gesichtszüge gerichtet, alle Flüssigkeit aus dem Körper gelassen
und die Einbalsamierungsflüssigkeit injiziert, mit einem Trokar
die inneren Organe punktiert..."
Ferguson
räusperte sich.
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