Huff, Tanya
hatte die Augen halb geschlossen. „Müßten Sie nicht ...
nun, nächtens jagen oder sonst was tun?"
„Müßten Sie nicht
eigentlich draußen sein und ermitteln?"
„Was denn? Es hat wohl wenig Zweck, den Tatort zu
überwachen, und Sie können Gift darauf nehmen, daß dieses
Arschloch Chen, oder wie immer der heißen mag, längst über alle Berge ist. Die
besten Täterprofile der Welt nüt zen einem nichts, wenn
man den Verbrecher einfach nicht finden kann."
Henry beugte sich vor und
breitete die Papiere aus, die auf dem Couch tisch direkt neben Mikes Füßen lagen. Vicki hatte den
ganzen Abend über die
Informationen geordnet, die im Laufe des Tages zusammengekommen waren, und als
er kurz vor acht aufgestanden war, hatte sie ihm die Ergebnisse vorgetragen.
„Ich
habe mit allen geredet, die Kontakt mit ihm gehabt haben könn ten - bis auf einen der drei Busfahrer auf der
entsprechenden Linie, und mit dem
werde ich morgen reden. Man kann seinen Kleidungsstil ändern, weißt du, die Frisur, aber es ist wesentlich
schwerer, feste Gewohnheiten abzulegen.
Er lächelt viel. Auch wenn er allein ist und es auf den ersten Blick nichts zu geben scheint, was Anlaß zum
Lächeln böte. Er trinkt nur die klassische Coca Cola. In der Regel stecken in
seiner hinteren Hosen tasche ein
paar Süßigkeiten. Im Bus sitzt er gern auf dem Sitz vor der hin teren Tür, und zwar auf dem Fensterplatz. Er
pflegte an der Ecke Brook und Montreal in den Johnson Street-Bus zu steigen,
und zwar mit einem Einfachfahrschein, keinem Umsteiger. Das bedeutet
wahrscheinlich, daß er in der
Innenstadt wohnt."
Henry war beeindruckt und gleichzeitig auch besorgt. Für
Trauer schien ,Victory' Nelson bei ihren Ermittlungen keinen
Platz gelassen zu haben. Es konnte nicht guttun, sich nur vom Zorn zu nähren, schon
gar nicht in einer Zeit wie dieser. Er
überflog die Notizen und schüttelte den Kopf. „Sie weiß alles über den Mann, es fehlt nur noch ein Bild."
Es war Mike nicht lieb, aber er mußte Henry
beipflichten. Scheinbar hatte das jahrelange Training über Vickis
anfänglich rein emotionale Re aktion gesiegt, und sie suchte nun
nach einer richtigen Person, statt sich panisch an einen Namen
zu klammern. „Fergusson sagte, er will zusehen, daß er morgen den
Polizeigrafiker loseisen kann."
„Warum habe ich nur das Gefühl, daß Fergusson das
eigentlich nicht notwendig findet?"
„Darum geht es nicht. Es geht um Ressourcen. Oder besser:
um Perso nalknappheit.
Fergusson hat erklärt, und ich zitiere wörtlich: Ja, es ist schrecklich, aber wir schaffen es kaum, mit all
den schrecklichen Dingen Schritt zu halten, die Lebenden zugefügt
werden.'" Mike kniff die Lippen zusammen.
Er selbst hatte verschiedene „schreckliche Dinge" mit ansehen müssen, die
Lebenden zugefügt worden waren und die nicht hatten geahndet werden können, weil es an Personal
fehlte, in den entsprechen den
Abteilungen Kürzungen vorgenommen worden waren oder schlicht die Verwaltung versagt hatte. Daß Vicki nun offenbar
zur Selbstjustiz
übergegangen war, konnte er zwar
nicht billigen, jedoch durchaus nach vollziehen. Die Befriedigung, genau zu wissen, daß Anwar
Tawfik nur noch Staub war und diesmal auch Staub bleiben würde, zu wissen, daß
Mark Wil liams wirklich für
die Unschuldigen, die er abgeschlachtet hatte, hatte bü ßen müssen, zu wissen, daß Normann
Birdwell der Stadt keine weiteren schrecklichen Dinge mehr zufügen konnte, all das wog einiges auf der
Waag schale der
Justitia, und das Gesetz kam nur schwer dagegen an.
Müde und unter schwergewordenen Lidern hervor starrte
Celluci Hen ry Fitzroy an. Wie viele mochte es noch
gegeben haben? Hunderte? Tau sende? Hatten Fitzroy und andere von seinesgleichen
einfach systematisch Nacht für Nacht das Ungeziefer ausgemerzt, das die
Menschheit plagte? Während er, Celluci, sich den Arsch aufgerissen und die Füße
wundgelaufen hatte? Celluci schnaubte verächtlich: Wenn dem so sein sollte, dann hatten die aber verdammt schlecht
gearbeitet!
Vampire. Werwölfe. Dämonen. Mumien. Nur Vickis wegen war
er be reit, sich mit einem solch verqueren Blick auf die
Realität überhaupt zu befassen. Vielleicht hätte er auf seine Familie hören,
ein nettes italieni sches Mädchen heiraten und seßhaft werden
sollen. Mike warf einen Blick über die Schulter in Richtung
Schlafzimmer - wie Henry es vor ihm getan hatte. Nein. Ein nettes Mädchen,
italienisch oder auch nicht, kam da einfach
nicht mit. Vicki war sein Kumpel,
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