Huff, Tanya
entfernt passierten sie den Schatten,
in dem dieser sich aufhielt und bekamen keine Sekunde lang mit, daß sie
beobachtet wurden.
„Ist das die
Tür?"
„Ja!" Der Stahl erzitterte, als der Schlag einer
fleischigen Hand ihn traf. „Irgendein genialer Student wollte
wahrscheinlich den Weg vom neuen Naturwissenschaftsgebäude her abkürzen."
„Abkürzen? Im
Dunkeln?"
„Was heißt hier dunkel? Da drin lassen die jede vierte
Flurlampe bren nen, nur so für alle Fälle."
„Was für Fälle
sollen das sein?"
„Da bin ich überfragt, aber der Strom
ist noch angeschlossen."
„Was für eine
Verschwendung!"
„Das kannst du laut sagen. Wenn sie den Strom abschalten,
könnten sie mit dem gesparten Geld den Rattenstall hier abreißen
und das Parkhaus bauen."
„Parkhaus? Das
wäre ja mal was Sinnvolles!"
Vom Parthenon zum Parkhaus - wie weit es wohl noch kommt mit der Zivi lisation? fragte sich Henry, als die Wachen nun weitergingen. Er
schob die Hände in die Manteltaschen und wandte sich dem neuen
Gebäude der naturwissenschaftlichen Fakultät zu, das als
hellerleuchteter, strahlender Kontrast zu dem dunklen und
verrammelten Gebäude, das es ersetzt hat te dastand. Die beiden
Häuser sind also miteinander verbunden! Die Kreatur ging
in das alte Gebäude, und Dr. Burice arbeitet in dem neuen -
und außer ihr noch ein paar hundert andere Leute. Das ist eine von diesen
letztlich nicht wirklich informativen
Informationen, wie Vicki und Celluci sie den ganzen Tag lang gesammelt
haben.
Nun wollen wir doch einmal
sehen, ob die Nacht den beiden ein paar Ant worten zu bieten hat.
Die Wache am Eingang nahm nur den kurzen Windstoß wahr,
der ihre Zeitung
zum Flattern brachte, nicht aber die Bewegung, durch die der Windstoß
entstanden war. Lautlos machte Henry sich auf den Weg zu den unteren
Stockwerken am Nordende des Gebäudes. Da die Verbindung von außen nicht zu
sehen war, mußte sie unterirdisch verlaufen.
Im Keller nahm Henry einen Geruch wahr, den er kannte.
Besser ge sagt: die Perversion eines Geruchs, den er kannte. Er
hatte die vergange nen drei Tage im dunklen Schutz von Marjory
Nelsons Wandschrank ver bracht, umgeben von ihrer Kleidung und dem dort aufbewahrten Zeug aus ihrem Leben. Nun hing der Geruch ihres Todes,
den man seines Frie dens beraubt, den man zu einer grotesken Existenz
verzerrt hatte, fast ebenso intensiv an den
Fußbodenfliesen und der Wandfarbe, wie er an Marjorys Wohnzimmerfenster gehangen hatte.
Der Geruch zeigte Henry den Weg zur Passage, durch die
Passage hin durch, eine Treppe hinauf, einen Flur
entlang, eine weitere Treppe hin auf und durch einen
leeren Hörsaal, in dem Schrammen auf dem Fußbo den andeuteten, wo sich einmal die
Stühle befunden hatten. Schließlich führte
er ihn zu einem Korridor, in dem der Gestank des Übels so dicht hing, daß Henry keine Nuancen mehr wahrnehmen
konnte.
Ein
Lichtstreifen, dünn wie eine Rasierklinge, drang unter einer Tür auf halber Länge des Gangs hervor.
Henry
konnte das leise Summen elektronischer Geräte hören, Motoren und einen
Herzschlag. Ein Leben spürte er nicht.
Als er versuchte, einen Schritt nach vorn zu tun,
verweigerten ihm die Beine den Dienst.
Henry
Fitzroy, Duke of Richmond and Somerset, unehelicher Sohn Heinrichs VIII., war im Glauben an die leibliche
Wiederauferstehung des Menschen
erzogen worden. Wenn am Tag des Jüngsten Gerichts der Herr die Gläubigen rief, würden diese dem Ruf nicht nur
im Geiste Folge lei sten, sondern auch im Fleische. Henry hatte in
seinen siebzehn Jahren fast täglich in der
Kapelle gebetet, und der Glaube an die Wiederaufer stehung hatte das Kernstück seiner religiösen
Erziehung gebildet. Selbst als sich sein königlicher Vater von Rom getrennt
hatte, war die Wieder auferstehung
des Leibes nicht in Frage gestellt worden.
Der Lauf von viereinhalb Jahrhunderten hatte Henrys
religiöse Ansich ten zwar durchaus verändert, aber einige
Lehren seiner frühen Jahre hat te er nie ganz ablegen können. Er
war als Katholik des 16. Jahrhunderts erzogen worden und in manchen Dingen auch
ein Katholik des 16. Jahrhunderts geblieben.
Er konnte da nicht
hineingehen.
Und wenn du es nicht tust, wer tut es dann? Unter
Henrys Fingern zer barst ein Stück Holzleiste. Michael
Celluci? Willst du ihm das gönnen? Soll er denn wirklich
zu ihrer Rettung herbeieilen dürfen, während du, von aber gläubischem Entsetzen
gelähmt, in irgendeiner Ecke kauerst? Soll etwa Vicki selbst es tun? Und was ist mit deinem
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