Hummeldumm
auch: Lediglich ein einziger, abgehärteter Rentner hatte sich ein gutes Stück weiter in den Sand gesetzt und starrte ebenfalls hinaus in den tosenden Atlantik. Der Strand selbst war riesig, ein bisschen gräulich vielleicht, aber sonst gepflegt. Eine Promenade gab es nicht, die Grundstücke der bunten Ferienhäuser grenzten unmittelbar an den Strand, die Fensterläden waren verschlossen. Vielleicht saßen deren Eigentümer ja gerade in ihren Windhoeker Büros und kamen nur am Wochenende her? Ich lief ein paar Meter, dann setzte ich mich, vorsichtig wegen meiner noch schmerzenden Schnitte, auf die Mauer eines knallgelben Ferienhauses und öffnete mein Red Bull. Ich nahm einen Schluck, und noch während die pappsüße Brause in mir versickerte wie flüssige Gummibärchen, schaute ich hinaus auf den brausenden Ozean und fragte mich, was Sina jetzt wohl machte und was um alles in der Welt schiefgelaufen war, dass ich nun alleine hier saß statt mit ihr. Eine Möwe ließ sich wenige Meter vor meiner Mauer nieder, sah mich und flog lachend wieder davon. Trotzig leerte ich meine Dose und betrachtete den Supermarkt-Kassenzettel, den ich unsinnigerweise mit zum Strand genommen hatte. Unter der Gesamtsumme und dem Namen der Kassiererin (Johanna) stand: >LIFE IS GREAT! SPAR, GOOD FOR YOU.<
Ich formte eine Kugel aus dem Zettel und steckte ihn zusammen mit dem angeblich so großartigen Leben in die leere Dose. Die wiedergewonnene Einsamkeit, sie erfreute mich nicht. Statt mir Ruhe zu geben, trübte sie meine Gedanken nur weiter ein. Seufzend stellte ich die leere Dose auf mein Mäuerchen, blickte hinaus auf den Atlantik und füllte meine Lunge mit der salzigen Meerluft.
Ich fühlte mich seltsam fremd. Nicht nur ortsfremd, auch seelenfremd. Ich fühlte mich, als wäre ich zu Besuch in meinem eigenen Leben. Leider war es die Sorte von Besuch, bei der man am liebsten gleich wieder gehen würde, es aber aus Höflichkeit nicht wagt. Muss man denn höflich sein zu sich selbst? Oder doch besser ehrlich? Man konnte meinen Zustand natürlich auch mit einem ganz simplen Bild beschreiben: Ich war irgendwie ... am Arsch!
Erst spät bemerkte ich, dass der Rentner aus dem Sand aufgestanden war und langsam auf mich zutrottete. Es war Speckhut, den ich ohne seine hässliche Kopfbedeckung gar nicht erkannt hatte. Auch er wirkte ein wenig kraftlos, sein sonst stets präsentes clowneskes Grinsen war jedenfalls verschwunden.
»Na, Matze, was moachst?« »Ich sitz nur so und guck.«
Speckhut nickte und verharrte ein wenig unsicher vor mir.
»Ich hob mi grad g'fragt ... vielleicht magst a Bierchen trinken mit mir in der Stadt!«
Verdutzt blickte ich Speckhut an. Dann griff ich die leere Red-Bull-Dose, sprang in den Sand, und gemeinsam stapften wir den Strand entlang.
30
Die ersten beiden Biere waren schnell getrunken. Speckhut und ich saßen an einem großen Holztisch im Swakopmund-Brauhaus, einem volkstümlich eingerichteten Restaurant mit grünen Tischdecken, einer langen Holztheke und Nationalflaggen aller Herren Länder an der Decke. Schnell war klar: Speckhut war noch frustrierter als ich. Schon nach dem dritten Bier gestand er mir, dass er seine eigene Frau für einen Drachen hielt.
»Als i noch unterrichtet hab, da war ois in Ordnung, aber jetzt wo i dahoam bin - weißt, Matze, manchmal hob i grad des G'fühl, dass i stör. Wos immer i mach im Haus: 's is folsch! Sie hot ja noch ihr'n Laden, aber kaum isse dahoam, geht das Gezeter los. Ois mach i folsch, nix richtig!«
»Dann mach doch einfach nix.«
»Scho probiert - is a falsch. Dabei hot i mi richtiggehend g'freut auf meine Pensionierung. Aber dass des jetzt so hart wird, des hätt i net denkt.«
Ich wusste nicht so recht, was ich sagen sollte, denn ein Beziehungsexperte war ich ja nun auch nicht gerade. Vorsichtig fragte ich Speckhut, ob er nicht vielleicht ein Hobby habe, das er unabhängig von seiner Frau betreiben könne.
»Hobby? Hob i längst.«
»Was denn?«
»Na, des weißt doch!«
»Hilf mir, ich komm nich drauf.«
»Reimen tuat ka Bahee und ka Matze Klein, reimen tu nur ich allein! I schreib Gedichte!«
Ich nahm einen Schluck Bier in der Hoffnung, dass das Pilsglas wenigstens einen Teil meines erstarrten Gesichts verdecken würde.
»Na jedenfalls, des macht ma Spaß, des hält mich über Wasser. Drei klane Banderl hob i scho. Wenn du Lust hast ...«
Ich war dem Kellner sehr dankbar, der uns just in diesem Augenblick daraufhinwies, dass die Gäste, die
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