Hummeldumm
nach Mitternacht hatte ich in meinem Wüstenbuch gelesen und gehofft, Sina würde zurückkehren in unser Chalet. Stumm hatte ich gelauscht, ob nicht vielleicht doch der Holzsteg noch knackte und der Reißverschluss der Zelttür schnurrte ... vergebens. Ja selbst der Schlaf war zu stolz, um mich zu besuchen in dieser Nacht.
Nun war es kurz nach sechs und bitterkalt trotz der dicken Jacken. Wir hatten uns ein paar hundert Meter von der Lodge entfernt versammelt und bildeten einen Halbkreis um Pepi Speckhut, der feierlich einen blauen Schuhkarton mit drei Querstreifen in den Händen hielt und seine Lesebrille fast bis auf die Nasenspitze geschoben hatte. Und obgleich jeder wusste, was uns blühte, hatte ihm keiner die Bitte abschlagen wollen, die Rede zu halten. Wir mussten die Zeremonie also mit halbwegs guter Miene ertragen, wollten wir Trixi und Speckhut nicht verletzen.
Zwischen Sina und mir herrschte noch immer Funkstille. Ausdruckslos stand sie bei ihrer neuen besten Freundin Brenda, beide blickten wie ich auf Speckhut und den blauen Karton. Etwas weiter weg hatte sich Seppelpeter mit seiner Kamera auf einem Felsen postiert; er schien die Beerdigung in der Totalen festhalten zu wollen. Nun schaute auch Bahee kurz auf seine Uhr, wahrscheinlich ging ihm die noch zu fahrende Wegstrecke von knapp 300 Kilometern durch den Kopf. Ein leises >Bing< wehte zu uns herüber, Speckhut räusperte sich und begann mit feierlicher Stimme:
»Mir san heut hierherkommen,
weil Carlos wurd' uns weggenommen.«
»Weggenommen?«, lachte die Gruberin, »draufgeplumpst is mit ihre achtzig Kilo!«
Trixis Miene verfinsterte sich augenblicklich, und sie schoss zielgenau zurück:
»Und wenn du ihn nicht in deine blöde Tasche gepackt hättest, dann war er noch am Leben!«
»Leude!«, unterbrach Bahee und hob beschwichtigend die Hände, »jetzt ist hier aber mal gut, ne!«
Speckhut sondierte die Lage über seine Lesebrille hinweg, raschelte mit seinem Zettel und fuhr fort.
»Am Brandberg war er a Legende,
gestern Abend dann sein Ende!«
»Ge, Pepi, des is ja gar nix!«, unterbrach ihn seine Frau, »also wirklich überhaupt nix! Aus Dummheit isser gstorben, jetzt muss man net noch dumm beerdigen!« Dann nahm sie ihrem versteinerten Mann den Karton mit Carlos ab und legte ihn in das Erdloch. Das Manuskript riss sie ihm aus der Hand, zerknüllte es und warf es weg. »Glaub mir, Pepi, so is würdevoller. So. Und jetzt geh i zum Frühstück!«
Sprach's, ließ ihren versteinerten Ehemann am Erdloch stehen und marschierte davon. Eines musste man ihm lassen: In den Charts der bemitleidenswertesten Beziehungen lag er nun uneinholbar an der Spitze.
»Lies weider«, nuschelte Bahee und reichte Pepi die Papierkugel, der sie dankbar wieder entfaltete.
»Also gut. Danke. Wo war ich? Ah ja: ... gestern Abend dann sein Ende.
Doch sage ich dem Feuerschopf: mach dir kein allzu großen Kopf!«
»Pfiff...«, stöhnte Breitling und schnippte einen Zigarettenstummel in den Sand.
>Bing< tönte es vom Felsen, und Seppelpeter stieg herab. Als er bemerkte, dass alle ihn beobachteten, knarzte er »Dschibb voll!« und bog ebenfalls auf den Pfad, der zum Frühstück führte.
»Weiter?«, fragte Speckhut unsicher. Wir nickten.
»... kein allzu großen Kopf!
Gestern war und heut is morgen,
Viachal muss man neu besorgen.«
»Stopp!«, rief Trixi, und nun riss Speckhut entnervt die Lesebrille von der Nase.
»Jetzt foll du ma net a no in den Rücken!«
»Aber das war nicht irgendein Tier! Das war Carlos! Den kann man nicht einfach neu besorgen!«
Bahee legte den Arm um Trixi und führte sie ein wenig vom Grab weg.
»Trixi, ich verrate dir jetzt mal Geheimnis, ne. Ich mach die Tour hier seit zehn Jahre, ne, und unsere liebe Carlos, wo du da leider draufgelatscht bist und der da jetzt mal sich streckt im Karton, der ist nicht mehr da, aber am Brandberg, da is schon seit heute Morgen eine neue Carlos, und für alle neue Gäste ist wie immer.«
»Versteh ich nicht.«
»Is aber einfach, ne: Greifvogel, Raubtiere und Schakale auch: Alle liebe Carlos. Und wenn du mal zu Hause bist und gehst ins Internet, dann siehst du ein Prospekt von der Brandberg Lodge mit eine dicke Carlos drauf von 2003, und das, wo Erdmännchen werde drei Jahre alt mit a bikkie Glück.«
»Heißt das ...-?«
»Genau. Die Erdmännchen da in die Karton, das war die siebte Carlos.«
Nicht nur Trixi hatte es die Sprache verschlagen. Auch Brenda starrte nun mit offenem Mund
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