Hund- und Haussitting: oder wie drei Nasen alles kaputt machen
Stufen vor der Kanzlei waren gestreut und dennoch haftete ihr Blick gebannt auf die Oberfläche, denn einen Sturz wollte sie nicht riskieren, so sah sie erst auf, als ein Hindernis vor ihr auftauchte.
„Entschuldigung!“, murmelte das männliche Gegenüber, worauf sie nun richtig hoch sah.
Alischa erkannte den Kerl sofort. Auch wenn er mächtig gealtert war. In seinen Augen fehlte der Glanz und seine Wangen waren eingefallen. Was hatte dieser ‚damals‘ vor Kraft strotzende Handwerker abgebaut! Fein, geschah Mischa recht!
Sie ging ihm aus dem Weg. Er blickte ihr in die Augen, doch Mischa erkannte sie nicht.
Kein Kunststück, die drei Herren kannten sie mit knappen T-Shirts und kurzen Hosen und nicht im Bürostil und adrett hochgesteckten Haaren. Schminke war damals bei der Hitze ja auch nicht angesagt gewesen.
Ja, seit sie bei Frank angefangen hatte … entwickelte sie ein zweites Businessgesicht.
Sollte irgendwer erfolgreiche Werbung für weibliche Anwälte machen wollen, sie wäre das Paradebeispiel einer eleganten Verteidigerin!
Gerade, als sie den Blickkontakt abbrechen und weitergehen wollte … sprach er sie an. „Kenne ich Sie?“
Alischa lächelte nahezu spöttisch. „Nein, ich denke nicht.“
„Dann bitte ich nochmals um Verzeihung. Es ist nicht meine Art, jemanden …“ Er brach ab und stieg die Stufen weiter empor.
Ganz ohne Herz war sie ja nicht … kurz überlegte sie, wie er wohl in diesen Zustand kam? Doch sie verwischte den Gedanken.
Montag, immer noch, sie musste einkaufen. Morgen war Heiligabend. Ihre Mutter wollte heute mit Alec einen Tannenbaum besorgen. Da musste morgen etwas drunterliegen!
Ihr brachte dieses Fest nichts, aber für Alec würde sie sich ein Bein ausreißen!
Die Innenstadt bot alles, was sie suchte, einschließlich der wunden Füße, die sie nach drei Stunden bekam.
Heiligabend verlief sehr besinnlich. Vielleicht lag es am Schnee. Ja, es war schon etwas Besonderes, wenn genau zu Weihnachten in Bremen Schnee lag.
Gleich am ersten Weihnachtstag rief sie bei Marla an.
„Schätzchen, frohe Weihnachten, ich hab ein Problem, Kurzfassung: ich brauche dich doch! Irgendwie hat mich Klass eingewickelt und es geht um seinen Neffen. Erschlag mich nicht, ich habe zugesagt.“
„Dir auch nette Weihnachten, Kurzfassung: ich hau dir auf die Finger, wenn du noch mal so eine Akte aufmachst! Wann soll ich da sein? Wo schlafe ich? Wer kommt für meine Spesen auf?“
„Ich brauche dich vor meinen Termin in der Kanzlei, der am Siebenundzwanzigsten um vierzehn Uhr ist. Am besten so früh, wie es geht. Du kannst auch früher kommen, unter einer Brücke schlafen und dir deinen Lohn in der Sögestraße erbetteln!“
„Du blödes Kamel! Ich schubs dich aus deinem Bett und werde deine Geldbörse plündern! Aber aus alle dem wird wohl nichts werden, weil ich Termine hab. Ergo komm ich im Morgengrauen am Siebenundzwanzigsten und werde gegen Abend wieder abzischen“, kam es prustend von Marla zurück.
„Fein, dann ist ja alles geklärt! Bevor ich es vergesse, zieh deine frivolen Sachen an und denk an die Testseiten!“
„Mit oder ohne Durchblick?“
„Wir wollen einen Mann im gesetzten Alter überprüfen … Durchblick zwecks Augenfunktionstest. Ich weiß doch, dass dich das anturnt!“
„Du alte Gewitterschnepfe!“, protestierte Marla durch die Leitung.
In den ganzen Jahren hatten sie sich nicht aus den Augen verloren, deshalb waren derartige Gespräche bei privater Kommunikation zwischen den beiden gang und gäbe.
Warum sich Marla für ihren Weg entschieden hatte, lag an ihrem damaligen Freund, der eine profitable Detektei führte. Das halbe Anwaltsstudium passte auch ins Gesamtbild. So stieg sie bei ihm ein und wusste, das war es, was sie immer gewollte hatte. Und so kamen die beiden Frauen sich nie in die Quere, ergänzten sich perfekt.
„Alischiii, ich muss Schluss machen! Ich überwache gerade eine Frau, der Ehebruch zur Last gelegt wird. Ich melde mich, wenn ich mich in den Flieger setze! Küssi!“
„Danke Süße, fühl dich geknuddelt! Bis dann!“
Die Tage zogen ins Land und mit jeder Stunde, die verstrich, baute sich eine innerliche Unruhe in Alischa auf.
Vor keinem Termin hatte sie das!
Immer blieb sie die Ruhe selber, da konnte ein Erdbeben in Begleitung eines Taifuns kommen, Alischa trotzte allem.
Nur nicht dem, was in wenigen Stunden vor ihr lag!
An Schlaf war bis vier Uhr in der Nacht nicht zu denken und um acht bimmelte das Telefon.
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