Hundert Namen: Roman (German Edition)
bevorstehende Gespräch längst nicht mehr so nervös. Aber sie musste über sich selbst grinsen, denn sie hatte Schmetterlinge im Bauch wie ein Schulmädchen. Auf einmal machte sie sich Gedanken über ihr Äußeres, ihre vom Wein erhitzten Wangen, Jeans, Bluse, Ballerinas – das trug sie alles schon den ganzen Tag. Hätte sie sich vielleicht umziehen sollen? Vor der Redaktion bürstete sie sich kurz die Haare und fischte Lippenstift und Puder aus ihrer Tasche, aber im gleichen Moment kamen die beiden Putzfrauen aus der Tür, die gerade mit der Arbeit fertig waren.
»Können Sie bitte offen lassen?«, rief Kitty ihnen zu, verstaute die Sachen schnell wieder in ihrer Tasche und lief die Treppe hinauf. Es war ganz still, offensichtlich arbeitete niemand so spät, außer Pete, der ja die Hauptlast der Verantwortung zu tragen hatte. Zum Glück hatte er keine feste Freundin, denn die würde um zehn Uhr abends bestimmt ziemlich frustriert zu Hause auf ihn warten. Am Empfang warf Kitty einen kurzen Blick in den Spiegel, zupfte sich die Haare zurecht, öffnete einen weiteren Blusenknopf und ging in Gedanken noch einmal durch, wie sie ihm ihren Entschluss am besten nahebringen konnte.
Da aus Constances Büro Geräusche kamen, als würden dort Möbel gerückt, machte sie sich auf den Weg dorthin, aber gerade als sie Pete zurufen wollte, dass sie da war, hörte sie plötzlich eine Frau lachen. Dann ein Seufzen. Irritiert sah Kitty sich um. War doch noch jemand hier? Aber es war so still, geradezu unheimlich. Auf einmal beschlich sie ein ungutes Gefühl, und einen Augenblick spielte sie mit dem Gedanken, lieber schnell wieder zu verschwinden. Aber es entsprach nicht ihrem Naturell, eine verdächtige Situation einfach ungeklärt zu lassen, also ging sie weiter. Immer noch klang es, als würden Möbel verschoben. Sie machte sich nicht die Mühe anzuklopfen, denn instinktiv war ihr klar, dass sie dann verpassen würde, was sie in ihrem Herzen längst wusste. Als die Tür sich öffnete, sah sie Cheryl. Ihr grauer Businessrock war hochgerutscht, und sie hatte die Schenkel um einen Mann geschlungen wie eine Striptänzerin um die Stange. Seine Hände glitten über ihren Rücken, auf und ab, über ihre Schenkel, ihren Hintern, drückten und zwickten, und das sah alles so unromantisch und linkisch aus, dass Kitty sich an den Türrahmen lehnte und nicht umhinkonnte, die Nase zu rümpfen. Das waren nicht die Hände eines Experten.
Außer leisen Kussgeräuschen und einem gelegentlichen Stöhnen war es ganz still, und als Kitty die Stimme des Chefs vom Dienst hörte, die – heiser vor Verlangen – der stellvertretenden Chefin vom Dienst in ziemlich barschem Ton erklärte, was er mit ihr vorhatte, sah sie den Zeitpunkt gekommen, sich zu räuspern. Cheryl sprang mit einem solchen Satz vom Tisch, dass Kitty sich unwillkürlich fragte, ob man es als Flugversuch werten konnte.
»O Gott, Kitty«, rief Cheryl und zog hastig den Rock über die Schenkel. Beim Versuch, ihre Bluse zuzuknöpfen, zitterten ihre Finger allerdings so, dass sie den Plan aufgab und stattdessen die Arme vor der Brust verschränkte. »Wir wollten nur … äh, ich wollte nur …«
»Du wolltest nur grade mit deinem Chef vögeln«, stellte Kitty trocken fest. »Ja, ich weiß. Tut mir leid, dass ich euch unterbreche, der Plan, den Pete gerade für euch beide entworfen hat, klang recht gut, aber ich bin auf Einladung kurz vorbeigekommen, um von meinem Durchbruch bei dem Artikel zu erzählen. Aber es scheint gerade nicht so günstig zu sein«, fügte sie hinzu, und als ihr Blick nun auf Pete fiel, wurde sie auf einmal wütend, denn obwohl sie nicht wirklich Grund dazu hatte, fühlte sie sich hintergangen. Sicher, sie hatten nur ein paar Tage miteinander geflirtet, aber ihr hatte es etwas bedeutet, vor allem nach dem katastrophalen Wochenende mit Richie. In ihrem Liebesleben lief es nicht so besonders gut. Sie tat sich leid deswegen und fühlte sich als Opfer, dabei hatte sie es sich wahrscheinlich eher selbst zu verdanken, wenn sie sich immer die falschen Männer aussuchte. Aber sie wollte sich keine Vorwürfe machen, nicht jetzt, sondern spürte noch mehr Selbstmitleid, wo Pete sie so sanft und zerknirscht anschaute. In diesem Moment wusste sie, dass sie sich zu Recht betrogen fühlte, denn sie sah ihm an, dass er das Gefühl hatte, sie betrogen zu haben.
Pete hatte sich kaum gerührt, seit Kitty ihn mit Cheryl ertappt hatte. Er stand am Schreibtisch, mit völlig
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