Hundert Namen: Roman (German Edition)
aber der Fall hat damals Schlagzeilen gemacht. Der Mann ist übrigens nie verurteilt worden, obwohl alle davon ausgingen, dass er der Täter war. Er zog dann weg, verkaufte sein Haus, und man hörte so gut wie nichts mehr von ihm, aber Constance hat endlos über dem Fall gebrütet, irgendetwas berührte er in ihr, regte sie richtig auf, und nicht nur, weil ein gebildeter, wohlhabender Mann, der es hätte besser wissen müssen, eines so schrecklichen Verbrechens beschuldigt wurde. Wie jeder andere Journalist brannte auch sie darauf, ein Interview mit dem jungen Dienstmädchen zu bekommen, das die tote Ehefrau im Schlafzimmer gefunden und die Polizei verständigt hatte. Sie war vor dem Gericht, das den Mann freigesprochen hatte, der Star gewesen – eine schöne junge Filipina oder Thailänderin, ich weiß es nicht mehr genau. Jedenfalls ging Constance immer wieder zu ihrem Haus und versuchte, mit ihr zu sprechen, und wenn sie gerade mit etwas anderem beschäftigt war – was, wie du ja weißt, oft genug vorkam, weil sie sich plötzlich unbedingt in etwas anderes einmischen musste –, schickte sie mich zu dem Haus, um das Dienstmädchen zu überreden, ihr ein Interview zu geben. Wie alle anderen ging auch ich davon aus, dass sie mit der jungen Frau über den Fall sprechen wollte, darüber, was sie gesehen hatte, was für ein Mann ihr Chef war, was für eine Beziehung das Paar gehabt hatte, ob sie persönlich einen Verdacht hatte, solche Dinge …« Bobs Blick verlor sich in der Ferne der Vergangenheit, und er lachte leise. »Wie sich herausstellte, war Constance aber keineswegs an der Mordsache interessiert, sondern an dem Gegenstand, mit dem die Frau ermordet worden war. Es war irgendein altes Putzgerät, das das Dienstmädchen mit nach Irland gebracht hatte, ich weiß nicht mehr, wie es hieß, und da Constance einen Bericht über alte traditionelle Putzmethoden verfasste, war sie ganz scharf darauf, mit der jungen Frau über dieses Utensil zu sprechen.«
Kitty schüttelte den Kopf und lächelte.
»Und schließlich hat sie es auch geschafft, mit ihr zu sprechen. Unsere Zeitschrift war die einzige, die ein Interview mit dem gefragtesten Dienstmädchen des Monats bekam und den Mord mit keinem Wort erwähnte. Weshalb ich das alles erzähle, Liebes: Vielleicht glaubst du, dass Constance dich auf eine bestimmte Schiene lenken will, aber in Wirklichkeit ist es höchstwahrscheinlich etwas ganz anderes. Bei Constance geht es nie um das, was man erwartet. Was immer du für logisch hältst, vergiss es, für Constance ist es nicht logisch. Versuch lieber, es durch ihre Augen zu sehen, versuch, es mit ihrem Herzen zu fühlen. Ihr Herz war groß und sehr kompliziert, aber es wird dir helfen, ihre Geschichte zu finden.«
Kitty lehnte sich in ihrem Sessel zurück und trank noch einen Schluck aus ihrer Flasche. Bob sah sie an, während sie in Gedanken noch einmal durchging, was er ihr erzählt hatte, und es nach und nach mit den Geschichten der Menschen auf der Namensliste verband, die Constance ihr anvertraut hatte.
Und dann ging ihr plötzlich ein Licht auf. Endlich hatte sie es kapiert!
Kapitel 22
Nachdem sie noch ein paar Stunden mit Bob verbracht und mit ihm zusammen eine weitere Flasche von Constances selbstkultiviertem Rotwein geleert hatte, fühlte Kitty sich wesentlich entspannter, wenn sie an Pete dachte. Jetzt hatte sie einen Plan im Kopf und war überzeugt, ihm angemessen vermitteln zu können, dass sie sich auf die Leute konzentrieren wollte, die sie bisher kennengelernt hatte, und zwar nur auf diese. Dieser Teil war Bobs Idee gewesen. Er hatte ihr klargemacht, dass sie jetzt, wo sie erkannt hatte, was die Namen miteinander verband, nicht auch noch die restlichen vierundneunzig Leute treffen musste, nur um zum gleichen Schluss zu kommen. Sie hatte einfach nicht die Zeit, alles zu erledigen, was Constance für sie geplant hatte. Und diesmal hatte Constance wirklich ganze Arbeit geleistet, hatte sich etwas Großartiges und Wundervolles einfallen lassen, etwas, das so viele ihrer Überzeugungen widerspiegelte, und dies entdeckt zu haben machte Kitty gleichzeitig ganz aufgeregt und berührte sie tief. Es war fast, als hätte sie einen Abschiedsgruß von Constance bekommen, ihre letzten Worte – und die Botschaft war schlicht perfekt.
Weil Kitty wusste, dass Bob hundertprozentig hinter ihr stand, und auch, weil sich ihr Verhältnis zu Pete in den letzten Tagen verändert hatte, war sie beim Gedanken an das
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