Hundert Namen: Roman (German Edition)
hat ein neues angefangen. Er wollte verschwinden, und in diesem Café habe ich ihn gefunden. Nur hab ich es leider nicht geschafft, zu ihm zu gehen. Ich dachte, vielleicht würde er irgendwann wieder dort auftauchen. Dass er vielleicht regelmäßig dort war. Also ging ich immer wieder hin. Er ist nie aufgetaucht, aber ich konnte keinen Tag auslassen, denn ich dachte immer, womöglich kommt er ausgerechnet heute. Und dann konnte ich nicht mehr damit aufhören. Monate verstrichen. Selbst wenn ich versuchte, meinen Tee anderswo zu trinken, war es, als würde mich etwas magisch in dieses Café ziehen, und am Ende landete ich wieder dort. Ich weiß, das klingt sonderbar.« Sie sah Kitty unruhig an. »Meine Familie hat sich riesig Sorgen um mich gemacht, und ich wusste ja auch, dass mein Verhalten nicht normal war, aber ich konnte einfach nicht anders. Es war die einzige Verbindung, die ich noch zu ihm hatte. Deshalb ging ich hin und hoffte weiter, jedes Mal von neuem. Ich habe immer an das Schicksal geglaubt, an die Vorbestimmung. Und an alle möglichen anderen Dinge, an die die meisten Leute, die ich kenne, nicht glauben. Ich dachte, es wäre ein Zeichen, dass ich ihn einmal dort gesehen hatte, dass es bedeutete, ich würde ihn dort wiedersehen. Aber jetzt verstehe ich den Sinn des Ganzen gar nicht mehr. Es ist inzwischen ein Jahr her, und er war kein einziges Mal mehr da«, endete sie, offensichtlich beschämt.
»Sie sind Archie dort begegnet«, sagte Kitty, völlig fasziniert von dieser Frau und ihrer Geschichte. »Das war der Sinn des Ganzen. Zwar sind Sie wegen Ihrem früheren Partner immer wieder dorthin zurückgegangen, aber vielleicht nicht, um ihn zu finden, sondern um Archie zu begegnen. Wenn es so etwas wie einen Wink des Schicksals oder eine Vorbestimmung gibt, dann das.« Obwohl Kitty gar nicht an solche esoterischen Dinge glaubte, meinte sie es absolut ehrlich.
Regina sah sie an, als wäre sie noch nie auf diese Idee gekommen, und auf einmal begannen ihre Augen zu strahlen. »Meinen Sie das wirklich?«
»Na ja, ich weiß es natürlich nicht mit Sicherheit, aber es hört sich für mich so an. Wenn Sie nicht durch Ihren früheren Partner in dieses Café geführt worden wären, na ja, dann hätten Sie Archie womöglich nie getroffen, richtig?«
Regina lächelte sie an, ihre Schultern entspannten sich, und langsam schien sie den Gedanken zu akzeptieren. »Stellen Sie sich vor, heute war der erste Morgen seit einem Jahr, an dem ich nicht im Brick Alley Café war«, gestand sie leise.
»Und wie fühlt sich das an?«
Sie dachte kurz nach, wollte offensichtlich etwas sagen, entschied sich aber anders und schwieg.
»Aber ganz ehrlich«, mahnte Kitty, und Regina lächelte wieder.
»Na ja, wenn ich ehrlich bin, dann denke ich, dass er heute dort war, im Café.«
Auf diese Antwort war Kitty nicht gefasst.
»Was denken Sie?«, fragte Regina.
Kitty überlegte, dachte an Murphys Gesetz und an Wahrscheinlichkeiten, und sie konnte unmöglich lügen. »Ich denke, Sie haben wahrscheinlich recht.«
Regina nickte, nickte noch einmal und sah hinüber zu Archie, der Achar und Jedrek gerade Atem-Tipps gab. »Aber ich bin froh, dass ich hier bin«, sagte sie.
»Und ich bin auch froh, dass Sie hier sind, Regina«, erwiderte Kitty lächelnd.
»Wir sind da!«, verkündete Molly, und alle fingen an, als Anfeuerung für Achar und Jedrek mit den Füßen zu stampfen. Inzwischen sah man den beiden ihre Aufregung ziemlich deutlich an.
Eva erledigte rasch noch ein paar Telefongespräche, bei denen es vermutlich um die Geschenke für George Webb ging, und allmählich wurde es ernst.
»Keine Sorge, Jungs, wir haben noch eine ganze Stunde«, meinte Archie beruhigend. Inzwischen war es fast, als gehörte er zum Team. »Selbst wenn der Rekordrichter nicht kommt, kriegen wir das hin.«
Da das Wetter an diesem Maitag wunderschön sonnig war, hatten sie vorgehabt, zusammen einen Spaziergang am Hafen von Kinsale zu machen, während Jedrek und Achar sich auf den Rekordversuch vorbereiteten, aber als das Brautpaar Eva entdeckte, lief alles anders. Zu Kittys Erleichterung waren das Hochzeitsmahl und die Ansprachen bereits vorbei, und die Gäste nahmen gerade Platz zum Kuchenessen. Ihr Zeitplan für die Rückfahrt nach Dublin war recht eng, spätestens um drei mussten sie unterwegs sein.
»Bringen Sie Ihre Freunde doch einfach mit«, schlug die Braut – Georges Schwester – vor, als das Brautpaar Eva und Kitty an der Tür zum
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