Hundert Namen: Roman (German Edition)
schätzen, dass ihr euch alle so um mich kümmert, aber ich weiß einfach nicht, wie ich rechtzeitig nach Dublin kommen soll. Wenn die Polizei Molly nicht in den nächsten Minuten gehen lässt, hab ich keine Chance, es zu dem Meeting um sechs zu schaffen.«
»Nichts für ungut, Kitty«, meinte Jedrek ernst. »Natürlich respektieren wir Ihre Verpflichtungen Ihrer Chefin und Freundin gegenüber, und wir wissen auch, wie wichtig der Job für Sie ist, aber wir haben Ihnen unser Leben anvertraut. Wir haben Ihnen unsere ganz persönlichen Geschichten erzählt und Ihnen sozusagen den Stift in die Hand gedrückt, damit Sie alles aufschreiben. Dieser Artikel muss geschrieben werden, und zwar nicht nur für Sie, sondern ebenso für uns. Er gehört uns allen.«
Kitty sah Steve an, der ihren Blick erwiderte, als wäre Jedreks Einwand das Selbstverständlichste der Welt. Und dann fiel bei Kitty endlich der Groschen – es ging nicht um sie, es ging auch nicht nur darum, Constance zu würdigen und Kittys professionelle Haut zu retten. Es war das Leben dieser Menschen, es war ihre Geschichte, Kitty war ihnen etwas schuldig. Ernüchtert und demütig machte sie sich ans Werk.
Dreißig Minuten später war Molly wieder frei, und sie befanden sich auf dem Weg nach Dublin.
»Ich verstehe das nicht, Kitty, was hast du denen denn gesagt?«
»Ich habe nur mit dem Altenheim telefoniert. Mit Bernadette.«
»Nein, nicht mit Bernadette, die feuert mich garantiert«, jammerte Molly.
»Sie wird dich nicht feuern«, versprach Kitty zuversichtlich. »Wahrscheinlich macht sie dir ein paar Monate das Leben zur Hölle. Ich hab ihr alles erklärt, was wir getan haben und warum, und ich hab ihr gesagt, sie soll die Anzeige zurückziehen und die Polizei bitten, dich gehen zu lassen. Heute benutzt das Altenheim den Schulbus von Oldtown, also haben wir Zeit. Könntest du jetzt bitte aufs Gaspedal treten und meinen Anweisungen folgen?«
»Warum, wo fahren wir denn hin?«, fragte Molly erschrocken.
»Wir machen einen kleinen Umweg«, erklärte Kitty, ohne mit dem Nägelkauen aufzuhören, und beobachtete die Uhr, die sich gefährlich dem Termin um sechs näherte.
Um halb sieben hielt der Bus vor der Redaktion von Etcetera . Inzwischen war Pete wahrscheinlich kurz davor, alles abzublasen, aber Kitty beharrte darauf, dass sie es schaffen würden.
»Okay, ihr alle, ich verspreche euch, es geht schnell. Bitte folgt mir.«
»Viel Glück«, rief Steve und zwinkerte ihr zu.
Bereit für das nächste Abenteuer, kletterten alle aus dem Bus und schlossen sich Kitty an.
Rebecca, die Art-Direktorin, stand an der offenen Tür und hielt besorgt Ausschau.
»Kitty, Gott sei Dank«, sagte sie, als sie Kitty die Treppe heraufkommen sah. »Er dreht gleich durch da drin. Ich beneide dich echt nicht.« Sie nahm Kitty die Jacke ab und starrte dann etwas geschockt auf die Gruppe, die sie mitbrachte. »Was sind denn das für Leute, Kitty? Kitty?«, fragte sie und lief ihnen mit großen Augen nach.
»Könnt ihr bitte einen Moment hier warten?«, sagte Kitty zu ihrer Gefolgschaft, holte tief Luft und trat in den Konferenzraum. Es roch nach Kaffee, Schweiß und Wut, außerdem quollen den Anwesenden Frust und Gereiztheit aus allen Poren. Und natürlich war Kitty der Auslöser.
»Hi, ihr alle«, stieß sie atemlos hervor. »Tut mir leid, dass ich zu spät komme. Ihr würdet nicht glauben, was ich alles anstellen musste, um es überhaupt hierher zu schaffen.«
Ihre Kollegen stöhnten und murmelten, dass es auch für sie nicht leicht gewesen war, aber Kitty kümmerte sich nicht darum. Zu ihrer Freude war auch Bob anwesend, was bedeutete, dass Cheryl ihre neue Rolle wieder los war, und auch das war erfreulich. Sie schaute von Pete zu Cheryl und lächelte freundlich. »Hi, Leute, schön, euch wiederzusehen.«
Cheryl wurde rot und schaute schnell weg.
Und dann begann Kitty. »Vor zwei Wochen habe ich den Auftrag bekommen, Constances letzte Geschichte zu schreiben. Natürlich habe ich mich sehr geehrt gefühlt und habe sehr viel nachgedacht, denn wir wissen ja alle, dass Constance ein echter Profi war, eine Perfektionistin, die nur das Beste gelten ließ, und ich hatte nicht sehr viel Selbstvertrauen, dass ich diesem Anspruch gerecht werde. Ich weiß, dass viele von euch das Gleiche gedacht haben, und ich verstehe auch, warum.« Kitty schluckte, denn an der Reaktion der Umsitzenden und der Art, wie sie verständnisvolle Blicke wechselten, erkannte sie, dass ihre
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