Hundert Namen: Roman (German Edition)
die sie sich kümmert. Aber eines weiß Mary-Rose noch nicht, nämlich, dass sie selbst dieses Licht ausstrahlt: nicht das, was sie tut – sie ist es, die ein Zimmer zum Leuchten bringt, es sind die Gespräche, die sie mit den Kranken führt. Ihre bloße Anwesenheit ist heilend für die Menschen, und sei es auch nur vorübergehend.
Und zum Schluss, Nummer siebenundsechzig, Archie Hamilton. Archies geliebte Tochter Rebecca ist kurz vor ihrem sechzehnten Geburtstag ermordet worden. Archie hat seine Tochter beschützt, indem er – wie es wahrscheinlich jeder Vater tun würde – den Mörder gesucht und das Gesetz in die eigenen Hände genommen hat. Dafür war er jahrelang im Gefängnis, ist aber mit einer neuen Lebenseinstellung wieder herausgekommen. Mit einer Einstellung, die über alle Maßen faszinierend und erhellend ist.« Sie sah Archie an und lächelte, ehe sie fortfuhr: »Archie hat geglaubt, Gott hätte ihn nicht gehört, als er ihn am meisten brauchte. Er fühlte sich vergessen, im Stich gelassen, aber eines Tages ist er aufgewacht und hat die Stimmen derer gehört, die ebenso in Not sind, wie er es war, und seither ist er entschlossen, ihnen bei der Erfüllung ihrer Gebete zu helfen. Das war seine Erlösung.« Archies Kiefer spannte sich an, so sehr bemühte er sich, sich seine Rührung nicht anmerken zu lassen.
Nun wandte Kitty sich von ihren Freunden ab und wieder ihren Kollegen zu, von denen einige einen sehr ergriffenen Eindruck machten.
»Was ich euch über diese Menschen erzählt habe, ist natürlich nur eine kleine Einführung in das, wie sie wirklich sind. Es gibt noch so viel mehr zu sagen, so viel mehr zu erfahren. Pete, da draußen wimmelt es von faszinierenden, erstaunlichen Menschen, die keine Ahnung haben, wie interessant ihre Geschichten sind. Uns steht ein endloser Schatz von Geschichten zur Verfügung, das ganze Telefonbuch ist voller Inspiration. Ihr habt hundert Namen gesehen, ihr habt diese sechs Menschen gesehen, jetzt schlage ich vor, dass ihr in Constances letztem Artikel ihre Geschichten lest. Eine Geschichte für jeden Namen, jeden Monat, in einem Feature mit dem Titel Hundert Namen . Und wenn wir die Liste abgearbeitet haben, dann suchen wir nach dem Zufallsprinzip hundert neue aus.«
Nun war Kitty am Ende und wartete mit angehaltenem Atem auf die Reaktion der anderen. Zunächst herrschte Totenstille. Sie sah ihre kleine Gruppe von Freunden an, die neben ihr standen und nicht wussten, was sie sagen sollten. Mary-Roses Augen waren riesig, Eva hatte rote Wangen, Birdie stützte sich auf eine Stuhllehne.
Aber auf einmal stand Bob auf und begann zu applaudieren, zuerst langsam, dann immer schneller. Kitty sah die Tränen in seinen Augen, und nach und nach fingen auch ihre Kollegen an zu klatschen, Rebecca begeistert und voller Freude, die anderen anerkennend und sogar bewundernd. Kitty sah zu Pete, der lächelte – ein schwaches Lächeln, das aber immer stärker wurde. Erst blickte er über die Reihe von Menschen, die Kitty mitgebracht hatte, dann wandte er sich Kitty zu, mit einem Lächeln und einem aufmunternden Nicken, das ihr sagte, dass sie es geschafft und dass sie ihre Sache gut gemacht hatte. Und dann begann auch Pete zu applaudieren.
Noch nie im Leben war Kitty so stolz gewesen. Sie legte den Arm um Mary-Rose, die neben ihr stand, und instinktiv schlossen sich alle zu einem Kreis zusammen, das kleine Team, das aus ihnen geworden war, die Freunde, die Kitty gewonnen hatte und die ganz sicher mit ihr in Kontakt bleiben würden. Und während sie dem Applaus lauschten, hielten sie einander in den Armen.
Der Bus des St. Margaret Nursing Home hielt unter der Uhr von Clerys, wo ihre gemeinsame Reise begonnen hatte. Aber sie waren noch nicht bereit, sich zu trennen, und blieben schweigend auf ihren Plätzen sitzen. Alle nahmen sich einen Augenblick Zeit, um ihre Gedanken zu sammeln und noch einmal die Erlebnisse der letzten beiden Tage Revue passieren zu lassen, wahrscheinlich die einzigen, die sie je alle teilen würden. Als Erster stand Archie auf, sah die anderen an, die immer noch ungewohnt still dasaßen, nickte ihnen zu und ging langsam zur Tür. Und nun folgten ihm alle, einer nach dem anderen.
Obwohl sie sich natürlich versprachen, bald wieder zusammenzukommen – einige hatten Telefonnummern ausgetauscht, andere sich sogar schon verabredet –, war Kitty realistisch genug, um zu wissen, dass es schwer sein würde, die Gruppe noch einmal vollständig in
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