Hundert Namen: Roman (German Edition)
leid, dass ich auf deinen AB flenne, aber … ich bin ein bisschen durch den Wind und weiß nicht, was ich tun soll. Okay. Danke fürs Zuhören. Tschüss.«
Kapitel 4
Obwohl Kitty in den letzten Monaten nicht viel Zeit mit Constance verbracht hatte, hatte sie immer gewusst, dass sie da war. Wenn jemand starb, war das anders. Auf einmal fühlte man seine Abwesenheit, ganz deutlich, jede Sekunde des Tages. Manchmal ging Kitty eine Frage durch den Kopf, und sie griff instinktiv zum Telefon, um Constance anzurufen. Oder ihr fiel eine lustige Geschichte ein, die sie ihr sofort erzählen wollte, oder – was noch frustrierender war – sie erinnerte sich plötzlich an ein unfertiges Gespräch, das sie zu Ende führen wollte, oder an ein ungelöstes Problem, das sie aus irgendeinem Grund nicht fertig besprochen hatten. Weil Constance nicht da war, wünschte sich Kitty umso mehr, bei ihr zu sein, und sie quälte sich mit Vorwürfen, dass sie so selten im Krankenhaus gewesen war und nicht regelmäßiger angerufen hatte, nicht nur, als Constance krank gewesen war, sondern ihr ganzes Leben. Es hatte Anlässe gegeben, zu denen sie Constance hätte einladen können, Abende, an denen sie hätten ausgehen können. Sie hatten so viel Zeit verschwendet. Letztlich wusste sie aber, dass sie es beide wieder genauso machen würden, wenn sie ihre Freundschaft noch einmal von vorn durchleben könnten. Constance hatte Kitty nicht öfter gebraucht und auch nicht öfter das Bedürfnis gehabt, mit ihr zusammen zu sein, als umgekehrt.
Da Kitty keine Arbeit hatte, in die sie sich vertiefen konnte, keinen Freund, der sie ablenkte und ihr die Schönheiten des Lebens vor Augen führte, und auch keine verständnisvolle, einfühlsame Familie in der Nähe, fühlte sie sich einsamer als jemals zuvor. Eigentlich gab es nur einen einzigen Ort, an dem sie sein wollte, nämlich in der Redaktion von Etcetera . Dort fühlte sie sich Constance nahe, denn Constance war das Herz der Zeitschrift gewesen, nicht nur ihre Gründerin, Etcetera verkörperte ihre Weltanschauung und würde immer von ihr inspiriert bleiben. Kitty brauchte nur ein Exemplar des Magazins in die Hand zu nehmen, und schon hatte sie das Gefühl, dass ihre Freundin noch immer sehr lebendig war. Vermutlich war es so ähnlich, wie wenn man dem Kind einer verstorbenen Person begegnete: In ihm lebten ihr Äußeres, ihre Eigenheiten und ihre kleinen Marotten weiter.
Doch als Kitty ins Redaktionsbüro über Bobs und Constances Wohnung in Ballsbridge trat, überfiel sie genau das schmerzliche Verlustgefühl, vor dem sie geflohen war. Es traf sie wie ein eisiger Windstoß, wie ein Schlag ins Gesicht, der ihr den Atem nahm, und ihre Augen füllten sich mit Tränen.
»Oh, ich weiß«, sagte Rebecca, die Art-Direktorin, als sie Kitty wie erstarrt an der Tür stehen sah. »Du bist nicht die Einzige, die so reagiert hat.« Dann nahm sie Kitty in den Arm, half ihr, die Jacke auszuziehen und weiterzugehen. »Komm rein, wir sind alle in Petes Büro beim Brainstorming.«
Petes Büro. Dass es jetzt so genannt wurde, machte Kitty wütend, und obwohl es überhaupt nichts mit Pete zu tun hatte, hasste sie ihn für einen Moment, als wäre er es gewesen, der sich mit Gott verbündet hatte, um ihr die Freundin wegzunehmen. Als Chef vom Dienst hatte er schon während Constances Krankheit ihre Aufgaben übernommen, und Cheryl Dunne, eine ehrgeizige junge Frau, die nicht viel älter war als Kitty, hatte den Posten seiner Stellvertreterin eingenommen, denn Bob hatte sich die letzten sechs Monate ausschließlich um Constance gekümmert. Durch Petes und Cheryls Ausstrahlung bekam das Büro sofort eine völlig andere Atmosphäre, die beiden hatten ihre eigene Routine und ihren eigenen Rhythmus, aber während es den Anschein hatte, dass alle anderen lernten, sich den neuen Bedingungen anzupassen, hatte Kitty innerlich auf Abwehr geschaltet.
Inzwischen waren neun Monate vergangen, seit Constance das Steuer von Etcetera abgegeben hatte, vor sechs Monaten war sie das letzte Mal in der Redaktion gewesen, und es war ganz deutlich, dass die Artikel, die Kitty in dieser Zeit verfasst hatte, absolut nicht ihre besten waren. Natürlich lagen sie nicht unter dem Durchschnitt, sonst hätte Pete sie nicht veröffentlicht, und Constance, die bis zum Schluss ein wachsames Auge auf alles gehabt hatte, hätte Kitty sofort ins Krankenhaus zitiert, um ihr ordentlich die Meinung zu sagen. So etwas konnte sie gut. Ihr war es wichtig,
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