Hundert Namen: Roman (German Edition)
begannen über andere Themen zu sprechen, und der Tribut an Constance war blitzschnell abgehakt. Allmählich wurde Kitty ärgerlich.
»Äh, Pete?«
Er sah sie an.
»Ich weiß nicht, Pete, aber das alles kommt mir ein bisschen … ein bisschen abgegriffen vor.« Ihr war klar, dass sie sich mit so einer Bemerkung nicht beliebt machte, und einige ihrer Kollegen gaben auch prompt missbilligende Geräusche von sich und rutschten auf ihren Stühlen herum. »Ich meine den Tribut an Constance. Sie mochte es überhaupt nicht, wenn alte Artikel noch einmal veröffentlicht wurden.«
»Wir veröffentlichen ja auch nicht einfach alte Artikel, Kitty. Wenn du richtig zugehört hättest, dann hättest du das mitgekriegt. Aber wir müssen zurückblicken, darum geht es ja bei einem Tribut.«
»Ja, das weiß ich schon«, erwiderte Kitty und gab sich, als sie fortfuhr, alle Mühe, niemanden zu beleidigen. »Aber Constance hat immer gesagt, es ist, als würde man gebrauchtes Klopapier noch mal benutzen, erinnert ihr euch nicht?« Kitty lachte, aber keiner von den anderen stimmte ein. »Sie würde nicht einfach nur zurückblicken wollen, sie würde sich etwas Neues wünschen, etwas, was in die Zukunft weist, etwas Festliches.«
»Zum Beispiel?«, fragte Pete, und Kitty erstarrte.
»Ich weiß nicht.«
Jemand seufzte tief.
»Kitty, auf diesen zwölf Doppelseiten soll Constance gefeiert werden, und den Rest der Zeitschrift haben wir für neue Themen zur Verfügung«, sagte Pete. Zwar versuchte er, ruhig zu bleiben, aber er hörte sich an wie ein belehrender Vater, dem gleich der Geduldsfaden reißt. »Wenn du keine bessere Idee anzubieten hast, möchte ich jetzt gerne weitermachen.«
Alle starrten Kitty an, und sie zermarterte sich den Kopf. Aber sie konnte an nichts anderes denken als daran, dass ihr nichts einfiel. Seit sechs Monaten schon hatte sie keine Idee gehabt, und das würde sich in so einem Moment bestimmt nicht ändern. Schließlich begannen die ersten Kollegen, peinlich berührt wieder wegzuschauen, aber Pete behielt sie im Visier, als wollte er etwas beweisen – wenn ihr nichts Besseres einfiel, war auch ihr Einwand Makulatur. Warum machte er nicht einfach weiter? Kittys Gesicht brannte, sie schlug die Augen nieder, um niemanden anschauen zu müssen. Eigentlich hatte sie gedacht, viel tiefer könnte sie nicht sinken.
»Ich weiß nicht«, sagte sie schließlich leise.
Daraufhin machte Pete endlich weiter, aber Kitty konnte sich auf kein Wort mehr konzentrieren. Sie hatte das Gefühl, Constance im Stich gelassen zu haben, von sich selbst ganz zu schweigen, und obwohl sie sich inzwischen daran gewöhnt hatte, tat es ihr immer noch weh. Was hätte Constance gewollt? Wenn sie in diesem Raum wäre, was für eine Geschichte würde sie sich wünschen? Und dann wusste Kitty es auf einmal.
»Ich hab’s«, platzte sie unvermittelt heraus und unterbrach das Feedback zu Sarahs Geschichte, in der sie die derzeit trotz der Rezession steigenden Verkaufszahlen von Nagellack mit dem Absatz von Lippenstiften im Zweiten Weltkrieg verglich.
»Kitty, jetzt ist erst einmal Sarah an der Reihe«, wies Pete sie zurecht, und ein paar Kollegen warfen ihr verärgerte Blicke zu.
Sie zog verlegen den Kopf ein und wartete, bis Sarah fertig war. Dann war Trevor dran, und erst nachdem Pete sich noch zwei weitere Themenvorschläge angehört hatte, wandte er sich wieder Kitty zu.
»Das letzte Mal, als ich mit Constance geredet habe, hatte sie eine Idee, die sie dir vorstellen wollte, Pete. Ich weiß nicht, ob sie es getan hat«, begann sie.
»Wann war das?«
»Vor gut einer Woche.« Da hatte Constance noch gelebt.
»Nein, sie hat nichts davon erwähnt, ich hab das letzte Mal vor einem Monat mit ihr gesprochen.«
»Okay. Tja, bei der Idee ging es darum, Autoren im Ruhestand zu fragen, ob es eine Geschichte gibt, die sie schon immer gerne schreiben wollten, wenn sie die Gelegenheit dazu gehabt hätten.«
Pete blickte in die Runde. Einige Kollegen zeigten Interesse an dem Thema.
»Autoren wie Oisín O’Ceallaigh oder Olivia Wallace zum Beispiel«, fuhr Kitty fort.
»Oisín ist achtzig Jahre alt und lebt auf den Aran Islands. Er hat seit zehn Jahren nichts mehr geschrieben und seit zwanzig Jahren kein englisches Wort.«
»Das waren aber die Leute, die sie erwähnt hat.«
»Bist du sicher?«
»Ja«, antwortete sie, und ihre Wangen brannten, weil sie dauernd das Gefühl hatte, sich verteidigen zu müssen.
»Und sollen wir diese Leute
Weitere Kostenlose Bücher