Hundert Namen: Roman (German Edition)
passiert uns doch allen gelegentlich, oder nicht? Aber nein, für die arme Birdie hieß es sofort: Ab ins Pflegeheim! Nur damit die Egoisten-Bande ihr Haus verkaufen und von dem Geld noch mal Skiurlaub machen kann.« So grummelte sie noch eine Weile aufgebracht vor sich hin, und Kitty hörte, wie sich ihr Gebiss schmatzend in ihrem Mund bewegte.
»Wissen Sie, in welchem Pflegeheim sie ist?«
»St. Margaret’s in Oldtown«, antwortete Agnes, und es klang, als wäre sie auf das ganze Dorf von Oldtown sauer.
»Haben Sie Ihre Freundin mal besucht?«
»Ich? Nein. Ich schaff es nicht mehr weiter als bis zum Laden an der Ecke, und dann muss ich mir genau überlegen, wie ich wieder zurückkomme«, lachte sie, ein keuchendes Lachen, das sich in ein Husten verwandelte.
»Glauben Sie, dass ich sie besuchen darf?«
Agnes sah sie an. »Ich kenne Ihr Gesicht«, sagte sie plötzlich.
»Ja«, meinte Kitty alles andere als stolz.
»Sie haben diese Sendung über den Tee gemacht.«
»Ja, stimmt.« Kittys Stimmung hob sich wieder etwas.
»Ich trinke Barry’s«, verkündete Agnes. »Wie meine Mutter. Und ihre Mutter.«
Kitty nickte ernst. »Ich glaube, das ist eine gute Wahl.«
Agnes kniff die Augen zusammen, sie hatte offensichtlich eine Entscheidung getroffen. »Sagen Sie ihr einfach, Agnes findet Sie in Ordnung. Und dass ich nach ihr gefragt habe. Wir kennen uns schon sehr lange, Bridget und ich.« Nachdenklich schweifte ihr Blick wieder in die Ferne. »Und Sie können ihr auch sagen, dass ich immer noch hier bin.«
Als Kitty sich umdrehte, um zu gehen, öffnete sich die Tür nebenan noch einmal, und vier Kinder kamen herausgeschossen, dicht gefolgt von ihrer Befehle brüllenden Mutter. Agnes rief Kitty nach: »Und sagen Sie ihr auch, dass die ihren Rosenstrauch umgelegt haben. Einfach abgeschlachtet.«
Die Nachbarin warf Agnes einen hasserfüllten Blick zu, Kitty lächelte und winkte zum Abschied. Unterwegs zu ihrem nächsten Ziel, schaute sie sich noch einmal die Namen der beiden Frauen an, die sie heute besucht hatte. Sarah McGowan und Bridget Murphy.
Theorie für die Geschichte: Leute, die gegen ihren Willen umziehen müssen?
Mit diesem Thema konnte sie sich sehr gut identifizieren. Und nicht nur sie, sondern auch Colin Murphy.
Kapitel 7
Weil es kaum Busse nach Oldtown gab, hatte Kitty keine andere Wahl, als ein Taxi zu nehmen, und da sie an einen Taxifahrer geriet, der, wie er mehrmals betonte, aus dem entgegengesetzten Teil des County stammte, mussten sie auf den Landstraßen, die immer enger zu werden schienen, dreimal anhalten, um nach dem Weg zu fragen. Mitten in einer sehr ländlichen Gegend gelangten sie schließlich zum St. Margaret’s Nursing Home, einem Bungalow aus den Siebzigern, der nach allen Seiten ausgebaut worden war, um den Erfordernissen seiner neuen Funktion als Altenheim nachzukommen. Der Wintergarten rechts bekam am meisten Sonne ab und diente als Speisesaal, links zog sich ein Anbau weit nach hinten und beherbergte Sofas und Sessel. Der Garten war gepflegt und sehr schön gestaltet, überall gab es Bänke und bunte Blumenampeln. Kitty nahm sich vor, Agnes, falls sie sie jemals wiedersah, zu erzählen, dass Bridget hier gut untergebracht war. Inzwischen war es sieben Uhr abends, nur noch eine halbe Stunde Besuchszeit, und nachdem Kitty mit ihrer Suche bisher nicht allzu großes Glück gehabt hatte, hoffte sie sehr, dass Bridget bereit war, sie zu empfangen.
An der Rezeption fragte sie gleich nach Bridget Murphy und wartete, während eine Schwester mit einem strengen Gesicht und einem ebenso strengen Knoten das Gästebuch überprüfte. Kitty war die Situation unangenehm, und sie zerbrach sich den Kopf, wie sie erklären sollte, dass Bridget sie nicht erwartete, und wie sie die Situation vielleicht ein bisschen zu ihren Gunsten manipulieren konnte. Rechts von ihr war der Gemeinschaftsraum, in dem geplaudert und Schach gespielt wurde. Im Zentrum stand eine Frau mittleren Alters mit Dreadlocks, die drei alte Männer – einer hatte eine Gehhilfe, ein anderer trug in beiden Ohren ein Hörgerät – mehr oder weniger dazu zwang, »Simon sagt« zu spielen.
»Nein, Wally«, rief sie und kreischte vor Lachen, »das war kein ›Simon sagt‹!«
Der alte Mann mit dem Hörgerät sah sie verwirrt an.
»Jetzt müssen Sie sich hinsetzen, Sie sind raus. Ausgeschieden!«, rief sie noch lauter. Dann ließ sie die beiden übrigen Männer mit den Händen über dem Kopf stehen und ging zur Tür.
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