Hundert Namen: Roman (German Edition)
eintönige Umgebung zu bringen, hatten manche ihr Haus bunt gestrichen, allerdings hatten sie sich ganz offensichtlich nicht abgesprochen, und so war stellenweise ein etwas unharmonischer Eindruck entstanden – Zitronengelb neben Orange, Giftgrün neben Mintgrün, leuchtendes Pink neben schlammbraunem Naturputz. Die Hausnummer 42 klebte als Smiley-Sticker auf den Mülltonnen vor dem Eingangstor, in der Auffahrt lagen Spielsachen und Fahrräder herum, aber es gab keine Autos, weder vor dem Tor noch dahinter. Inzwischen war es halb sechs, die Menschen kehrten von der Arbeit zurück, der Tag neigte sich dem Abend zu. Eine alte Frau saß auf einem Küchenstuhl vor der benachbarten Haustür und genoss die letzten Sonnenstrahlen. Sie trug einen knielangen Rock, ihre ungleichmäßig bandagierten Beine steckten in dicken Strumpfhosen und die Füße in karierten Filzpantoffeln. Sie musterte Kitty aufmerksam und nickte ihr zu, als ihre Blicke sich trafen.
Kitty klingelte an Bridget Murphys Tür und trat dann von der Schwelle zurück.
»Die essen gerade«, verkündete die alte Frau.
Als Kitty sie interessiert anschaute, fuhr sie fort: »Chicken Curry. Das gibt es jeden Donnerstag. Ich kann das bei mir im Haus riechen.« Sie rümpfte die Nase.
Kitty lachte. »Sie sind also kein Fan von Chicken Curry.«
»Jedenfalls ganz bestimmt nicht von dem, das die da drin fabriziert«, bekräftigte sie und schaute von dem Haus weg, als würde schon sein Anblick sie ärgern. »Die hören die Klingel garantiert nicht, die sind ein furchtbar lauter Haufen.«
Von Kittys Standort aus klang es, als würde eine ganze Armee kreischender Kinder das Besteck auf den Boden schmeißen und die Gläser klirren lassen. Eigentlich wollte sie nicht unhöflich sein und noch einmal klingeln, vor allem, weil sie mitten in eine Familienmahlzeit platzte und dabei auch noch von der alten Frau beobachtet wurde.
»Ich würde noch mal klingeln, wenn ich Sie wäre«, schlug diese unbeirrt vor.
Erfreut über ihre Unterstützung, drückte Kitty noch einmal auf die Klingel.
»Zu wem wollen Sie überhaupt? Zu ihm oder zu ihr? Er ist nämlich nicht da, kommt meistens erst so gegen sieben nach Hause. Banker«, fügte sie hinzu und rümpfte wieder die Nase.
»Ich wollte Bridget besuchen.«
Die alte Frau runzelte die Stirn. »Bridget Murphy?«
Obwohl sie inzwischen fast die ganze Liste auswendig konnte, schaute Kitty zur Sicherheit noch einmal in ihrem Notizbuch nach. In letzter Zeit hatte sie sich angewöhnt, alles zwanzigmal zu checken, und war danach immer noch nicht hundertprozentig sicher.
»Bridget wohnt nicht mehr hier«, sagte die alte Frau, gerade als die Haustür sich öffnete, und die Mutter der Kinderarmee der verwirrten Kitty mit knallrotem Gesicht entgegenstarrte.
»Oh. Hallo«, sagte Kitty verlegen.
»Kann ich Ihnen helfen?«
»Ich hoffe es. Ich suche Bridget Murphy, aber ich habe gerade gehört, dass sie hier vielleicht gar nicht mehr wohnt.«
»Tut sie auch nicht«, bestätigte die alte Frau. »Hab ich Ihnen doch gesagt. Ich hab es ihr schon gesagt«, fügte sie, an die Frau gewandt, hinzu.
»Stimmt«, bestätigte diese, würdigte ihre Nachbarin aber keines Blickes.
»Sehen Sie?«
»Wissen Sie zufällig, wie ich Bridget kontaktieren kann?«
»Ich kenne Bridget überhaupt nicht. Wir haben das Haus letztes Jahr gekauft. Aber vielleicht kann Agnes Ihnen ja helfen.«
Kitty entschuldigte sich für die Störung, die Tür schloss sich wieder, und man hörte, wie die Frau drinnen ihre Kinder anbrüllte, sie sollten Ruhe geben. Dann wandte Kitty sich an Agnes, die alte Dame, die vermutlich genau Bescheid wusste über das Kommen und Gehen der meisten Leute in der Straße. Der Traum jedes Journalisten. Kurz überlegte sie, über die kniehohe Mauer zu steigen, die sie trennte, aber da sie befürchtete, Agnes könnte das unhöflich finden, ging sie den Weg hinunter, zum Tor hinaus, durch Agnes’ Tor wieder hinein und ihren Gartenweg hinauf.
Agnes sah sie seltsam an. »Da hätten Sie auch über die Mauer steigen können.«
»Wissen Sie, wo Bridget jetzt wohnt?«
»Wir waren vierzig Jahre lang Nachbarinnen, sie ist eine großartige Frau. Aber ihre Kinder haben sich als eine nichtsnutzige Bande von Egoisten entpuppt. Wenn man sie reden hört, könnte man meinen, sie sind Mitglieder des Königshauses. Obwohl sie völlig anders erzogen sind, das kann ich Ihnen versichern. Sie ist gestürzt, weiter nichts«, sagte sie ärgerlich. »Gestolpert. Das
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