Hundert Namen: Roman (German Edition)
Ich lese die Zeitschrift jeden Monat und habe mich so gefreut, als Sie angerufen haben.«
»Danke«, strahlte Kitty. »Ich glaube, meine Chefin hat irgendwann letztes Jahr mit Ihnen Kontakt aufgenommen. Constance Dubois?«
»Constance Dubois, natürlich – aber nein, sie hat mich nicht kontaktiert. Sollte sie?« Wieder sah sie Gaby scharf an. »Hat sie?«
Gaby zuckte die Achseln. »Nicht dass ich wüsste. Ich sag dir doch immer Bescheid über so was.«
Kitty kannte die Beziehung der beiden nicht, aber sogar ihr war klar, dass diese Behauptung nicht stimmte. Ihr Herz wurde schwer, als sie hörte, dass auch Eva nicht von Constance kontaktiert worden war, obwohl ihr Name doch auf der Liste stand. Worum ging es bloß bei dieser Liste? »Na ja, wären Sie denn bereit, mich einen Artikel über Sie schreiben zu lassen?«
»Ja, selbstverständlich. Ich meine, worum geht es denn bei der Geschichte? Über was für ein Thema wollen Sie schreiben?«
Kitty erstarrte. Das war eine hervorragende Frage. »In dem Artikel soll es um Sie und um, na ja, um noch neunundneunzig weitere Menschen gehen. Um das, was Sie alle verbindet.«
»Hundert Leute?« Gaby schien enttäuscht zu sein, dass es nicht ausschließlich um Eva gehen sollte. »Wer sind denn die anderen? Kennen wir vielleicht jemanden?«
»Nein, ich glaube nicht. Obwohl das eine gute Frage ist.« Auf einmal hatte Kitty eine Idee, wühlte in ihrer Tasche und zog die Liste hervor. »Schauen Sie doch einfach mal, ob Ihnen jemand bekannt vorkommt.« Eigentlich hatte Kitty damit nur Eva gemeint, aber Gaby drängelte sich sofort neben sie, und während Eva sich mit dem Lesen reichlich Zeit ließ, war Gaby in drei Sekunden fertig.
»Nein, da ist niemand Bekanntes drauf«, erklärte sie. »Kann ich eine Kopie von den Namen haben?«
»Warum?«
»Damit ich recherchieren kann, wer die Leute sind. Ich möchte diesem Interview nicht zustimmen, ohne zu wissen, mit wem meine Klientin in Verbindung kommt.«
Eigentlich ein durchaus einleuchtendes Anliegen, aber sowohl Eva als auch Kitty reagierten überrascht.
»Ja, ich hab auch meine Momente.« Gaby grinste Eva an, als wollte sie sagen: ›Siehst du wohl.‹
»Ich glaube nicht, dass das nötig ist«, erwiderte Eva leise. »Wir könnten doch einfach zusammen irgendwo einen Kaffee trinken, nur wir beide.« Gaby verzog das Gesicht. »Dann können wir über alles sprechen, aber an einer Stelle, wo es etwas entspannter zugeht als auf der Henry Street um die Mittagszeit.«
»Gute Idee«, sagte Kitty erleichtert.
»Das Einzige ist, dass ich in einer halben Stunde einen Termin mit einem Kunden im IFSC habe – wollen wir uns vielleicht danach treffen? Oder wir könnten uns auch unterwegs unterhalten.«
»Könnte ich auch zu dem Termin mitkommen und Ihnen bei der Arbeit zuschauen?«
Etwas unsicher sah Eva zu Gaby hinüber. Wenn sie es gebraucht hätte, dass Gaby für sie sprach, dann eindeutig jetzt, denn der Vorschlag war ihr irgendwie unbehaglich. Doch Gaby war mit den Gedanken anderswo, kaute Kaugummi und starrte Eva ausdruckslos an.
»Was?«
»Es wäre eine gute Gelegenheit für mich zu sehen, wie Sie arbeiten«, erklärte Kitty. »Wissen Sie – dass Sie anders sind als die üblichen persönlichen Einkäufer.«
Eva lächelte. »Sie sind echt gut. In Ordnung. Gehen wir.«
IFSC war die Abkürzung für das Irish Financial Services Centre am North Wall Quay und am Custom House Quay, direkt an der Liffey. In diesem Finanzzentrum waren vierzehntausend Menschen beschäftigt, es gab über vierhundertdreißig Finanzunternehmen, außerdem Hotels, Restaurants und Geschäfte. Evas Ziel war Molloy Kelly Solicitors am Harbourmaster Place, eine große Kanzlei, die sich vor allem mit Banken- und Wirtschaftsrecht befasste, und Eva hatte dort ein Meeting mit George Webb, einem der Firmenpartner. Eine rasche Google-Suche auf dem Handy hatte Kitty verraten, dass er zuständig war für alle Fragen hinsichtlich Bankengesetzen, Insolvenz, Bankrott und Unternehmenswiederaufbau, Versicherungsrecht, Rufschädigung, Trennung und Scheidung.
»Arbeiten Sie häufig für solche Menschen?«, fragte Kitty. »Ich meine, für gestresste Geschäftsleute, die keine Zeit haben, für ihre Lieben einzukaufen?«
Eva sah sie neugierig an. »Wie kommen Sie auf die Idee, dass das hier der Fall ist?«
»Ich habe den Mann gerade gegoogelt, und ich kenne solche Typen. Zuerst die Arbeit, dann die Familie. Sie sind so daran gewöhnt, andere Leute Dinge für sie
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