Hundertundeine Nacht
noch ein wenig länger warten konnten, und machte lieber eine Wanderung über die Innere Abteilung.
Samstag vormittag ist eine gute Zeit, um nach den Patienten zu schauen. Sonntags sind sie bei ihren Familien oder im Park spazieren, an allen anderen Tagen immer gerade beim Röntgen oder sonstwo im Irrgarten der Klinik verschwunden. Zufrieden stellte ich fest, daß niemand durch meine Abwesenheit Schaden genommen hatte. Das sollte ich mir für meine Urlaubsplanung merken.
Im Dienstzimmer der Nephrologie schwitzte unser Gastarzt aus dem Irak über einem Stapel von Computerausdrucken.
»Dr. Hassan! Auch am Samstag in der Klinik? Was haben Sie da für Berge von Papier?«
»Das sind die Verläufe unserer virtuellen Pest-Patienten, die muß ich noch fertig machen. Dann kann ich mich wieder den Nierenpatienten widmen.«
Soweit ich das in der Einsatzzentrale von Zentis mitbekommen hatte, war an der Humana-Klinik unter Dr. Hassans Verantwortung die Pestübung überraschend gut gelaufen. Ich beruhigte mein schlechtes Gewissen, ihn wohl falsch eingeschätzt zu haben, mit einem Lob.
»Sie haben bei dem Experiment die Situation in der Klinik jedenfalls ganz hervorragend bewältigt. Gute Arbeit!«
»Danke, Dr. Hoffmann. Mir kam zugute, daß wir im Irak andauernd solche Sachen üben: Gasangriff, bakteriologischer Angriff, alles, was unsere Führung so von den Amerikanern erwartet.«
Vielleicht weniger von den Amerikanern, eher als Fallout der eigenen Produktion, dachte ich, verkniff mir aber eine entsprechende Bemerkung. Schließlich war Dr. Hassan unser Gast.
»Trotzdem, gute Arbeit, Doktor! Was mich richtig erstaunt hat: Wir waren die einzige Klinik, die alle Beatmungsfälle mit entsprechenden Geräten versorgen konnte. Haben Sie da geschummelt?«
Dr. Hassan lachte.
»Habe ich nicht. Ich habe einfach die ausrangierten Geräte im Keller reaktiviert.«
Dr. Hassan kannte sich nach kurzer Zeit überraschend gut in unserer Klinik aus!
»Diese Geräte wären jetzt in Ihrer Heimat, beziehungsweise im kurdischen Teil Ihrer Heimat, inklusive einer Trinkwasseraufbereitungsanlage, wenn sie seinerzeit noch auf die Lastwagen gepaßt hätten.«
Dr. Hassan legte Zentis' Vordrucke beiseite.
»Davon habe ich gehört. Das mit Ihrer Freundin tut mir schrecklich leid, die Kollegen haben mir davon erzählt. Natürlich besonders, daß es passiert ist, als sie Hilfe in mein Land gebracht hat.«
»Sie wissen wahrscheinlich, daß die Hilfe für die Kurden im Irak bestimmt war.«
»Weiß ich. Das ist ja das Problem. Wir betrachten die Kurden als Teil unserer Bevölkerung, die Kurden aber nicht.«
Wieder mußte ich mir einen Kommentar verkneifen, daß es vielleicht etwas schwierig ist, sich als Teil der Bevölkerung zu begreifen, wenn man mit Senfgas beschossen wird.
»Jedenfalls kann ich Ihnen versichern, daß meine Freundin in Ihrer Heimat nicht mit einer Bombe geworfen hat. Nie und nimmer, das können Sie mir glauben.«
Abdul Hassan hob die Schultern.
»Sie müssen verstehen. Die gesamte westliche Welt hat sich gegen mein Land verschworen. Da ist eine gewisse Paranoia zwangsläufig. Meine Familie gehört nicht zum Saddam-Clan, wir kommen aus einer anderen Gegend. Aber auch wir haben unsere Kontakte. Wenn Sie wollen, hören sich meine Verwandten ein bißchen um.«
Gerne nahm ich das Angebot an. Dr. Hassan fragte noch nach ein paar Details, wie Celines Route in den Nordirak, wer ihr geholfen habe, wie wir per Telefon und E-Mail in Kontakt geblieben seien, wer sonst noch dabei war.
In der Hoffnung, daß ich so vielleicht weiterkäme, dankte ich ihm im voraus und machte mich auf die Suche nach unserer Verwaltungsleiterin, die ich an diesem Wochenende mit ziemlicher Sicherheit auch in der Klinik vermutete. Ich fand Beate im OP-Trakt, wo Sommers Firma bis auf ein paar eher kosmetische Kleinigkeiten die Installationen endlich abgeschlossen hatte. Sie beobachtete, wie unser Haustechniker Willi und die Chirurgen die Arbeit vor der offiziellen Bauabnahme prüften.
»Da bin ich wieder, zurück von der wichtigen Terrorismusübung. Oder habt ihr mich inzwischen wegrationalisiert?«
»Mach dir keine falschen Hoffnungen, Felix«, Beate legte mir die Hand auf die Schulter, »du bist immer noch Arzt an der Humana-Klinik. Und falls du während dieser Pestübung nicht dem Herrn Innensenator auf den Tisch gepinkelt hast, ist auch deine Abteilung weiter im grünen Bereich.«
Das hatte ich nicht. Aber ich hatte mich
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