Hundertundeine Nacht
Repertoire an erinnerungsunterstützenden Maßnahmen kennengelernt, aber diese Theorie stellte sich leider als Irrtum heraus. Neben ihren Fäusten und der Sache mit der Autobatterie, die inzwischen wieder aufgeladen war, hatten meine Freunde von den Kurdistan Freedom Fighters noch bemerkenswerte Varianten auf Lager. Und leider dauerte es diesmal auch deutlich länger, bis mich eine Ohnmacht wenigstens vorübergehend erlöste.
Dafür allerdings wurde ich mit einem herrlichen Traum entschädigt: Wie Leonore ihrem eingekerkerten Floristan erschien mir jetzt Celine, und genau wie Leonore würde sie mich retten! Blödsinn, wurde mir schnell klar, das war hier kein Traum. Celine war wirklich hier! Im Gegensatz zu mir hatten diese Kurden Wort gehalten, hatten Celine tatsächlich hergeschafft! Wieder Blödsinn, doch alles nur ein Traum. Denn Celine war längst zurück in Deutschland, ich wenigstens wußte das. Deutlich hörte ich noch ihr schnippisches »Und du meinst, das funktioniert?« von neulich, als ich ihr meinen Plan erklärt hatte.
Plötzlich stand eindeutig fest: kein Traum. Denn jetzt versuchten meine kurdischen Freunde, mich zu ertränken! Ich hustete, versuchte verzweifelt, das Wasser loszuwerden. Ein wenig half, durch die Nase zu atmen. Seltsam eigentlich!
»He Felix, wach auf!«
Warum versuchte ausgerechnet Celine, mich zu ertränken?
Erneut traf mich ein Schwall kaltes Wasser aus dem Eimer in ihrer Hand, sie hatte zu der klassischen Erweckungsmethode gegriffen. Als Arzt wollte ich schon immer wissen, ob das wirklich funktioniert oder nur im Film. Jetzt wußte ich es.
Hinter Celine sah ich Baran und seine Leute, die ich zum Teil von der angeblichen Beerdigung, zum Teil von der Pinkelbude am Chamissoplatz kannte.
Ziemlich aggressiv standen Barans National Union of Kurdistan den Kurdistan Freedom Fighters gegenüber. Ich stand, beziehungsweise lag nicht mehr im Mittelpunkt des allgemeinen Interesses, eine Tatsache, mit der mein Ego unter den gegebenen Umständen ganz gut zurecht kam.
Mit der dritten Ladung kaltem Wasser hatte ich endgültig wieder meine Sinne beisammen, kapierte die Situation jedoch trotzdem nicht.
»Celine!« Ich brauche nicht besonders zu betonen, wie froh ich war, sie zu sehen. »Weißt du, was hier gespielt wird?«
»Dein Spiel – Mensch gegen Maschine. Wir tauschen Teil zwei der angeblichen Wasseraufbereitungsanlage ein. Allerdings nicht gegen mich, wie du mal geplant hattest, sondern gegen dich!«
Deshalb also war die Gruppe Baran meiner Einladung zur Schokoladenfabrik nicht gefolgt. Warum sollten sie sich um etwas bemühen, was sie längst aus unserem Klinikkeller entwendet hatten? Deshalb hatte jetzt das Interesse an mir nachgelassen, endlich waren auch die Kurdistan Freedom Fighters überzeugt, daß ich dieses Teil tatsächlich auch bei der überzeugendsten Erinnerungshilfe nicht herausrücken konnte.
»Du hast versprochen, in Enge zu bleiben, bis ich meine Geschichte abgewickelt habe.«
»Und du hast mir geglaubt?«
Es war eine aberwitzige Situation. Während sich die Kurden anschrieen, bombardierte ich Celine mit Fragen.
»Arbeiten Baran und seine Leute mit den Irakern zusammen? Haben die dir damals das Teil von Sommer untergeschoben?«
»Haben wir nicht«, mischte sich Baran auf deutsch ein und deutete auf meine Kidnapper. »Das waren unsere lieben Landsleute!«
Das konnten die Freedom Fighters so nicht auf sich sitzen lassen.
»Wir dachten, es ginge um Ersatzteile für die Erdölindustrie, die unter die Embargobestimmungen fallen. Wir hatten keine Ahnung, wozu das Ding wirklich war!«
Im Moment stritten die beiden Kurdengruppen tatsächlich auf deutsch. Hofften sie auf Celine und mich als Schiedsrichter?
Soviel hörte ich jedenfalls heraus, daß man nach Celines Verschwinden im Irak nervös geworden war. Baran hatte gehört, daß die Kurdistan Freedom Fighters den zweiten Teil der Anlage sicherstellen sollten, und hat sie deshalb lieber selbst aus unserem Klinikkeller abgeholt – nun Tauschobjekt für meine Freiheit.
»Es war dringlich«, wandte Baran sich nun direkt an mich.
»Denn wir hatten inzwischen von der ›unsauberen Ladung‹ erfahren und einer meiner Männer hat Sie mit diesem Sommer im Restaurant Trenta Sei gesehen! Deshalb mußten wir auch Ihre Wohnung kontrollieren.«
Ach ja, der Blumenverkäufer, der kein Pakistani war! Aber gleich ging es wieder um Prinzipielles.
»Geschäfte mit den Irakern sind Verrat am kurdischen
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