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Hundsköpfe - Roman

Hundsköpfe - Roman

Titel: Hundsköpfe - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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Künstler in Amsterdam ernähren zu können. Und nun sitze ich im Zug, der lautlos dahinfährt und eben Osnabrück passiert hat, der Hurensohn, das Schlüsselkind oder das Lügenmaul, wie Askild mich für gewöhnlich genannt hat, und spiele mit dem Gedanken, einen heimlichen Tauschhandel eingegangen zu sein. Für die leeren Gemälde, die ich in Amsterdam zurückließ, beginnen neue Bilder in meinem Kopf zu entstehen.

Meyers Theater
    N ach knapp zwei Jahren in Deutschland war Askild auf dem Weg nach Hause. Er saß in einem weißen Rote-Kreuz-Bus. Bernadottes Rettungsaktion der norwegischen Gefangenen aus deutschen Lagern, noch bevor das finale Chaos des Krieges ausbrach, war in vollem Gang. Es war Frühjahr, und die Blumen leuchteten in den Beeten. Die zerschossenen und zerbombten Städte ähnelten wunderlichen Gerüstkonstruktionen, von denen nur die tragenden Balken stehengeblieben waren. Hin und wieder schoß es Askild durch den Kopf, daß er tatsächlich auf dem Weg nach Hause war. Daß er schon bald ein freier Mann sein würde, der aufstehen und aus dem Bus steigen könnte, wann immer er wollte. Nur war alles so schnell gegangen. Erst die Verlegung aus dem Außenkommando von Buchenwald, dann die Ankunft im skandinavischen Lager von Neuengamme, und gestern plötzlich die Gerüchte, daß ihr Rücktransport unmittelbar bevorstände. Wenn er jetzt aus dem Fenster sah, huschte alles vorbei wie in den Kinofilmen, die er als junger Mann in Bergen gesehen hatte; Lichtjahre von hier, in einer ganz anderen Welt. Er registrierte gerade noch, wie sein taubes Ohr heulte, dann hielt der Bus. Pinkelpause, hieß es. Ein paar kleine Kinder standen am Chausseegraben und starrten den weißen Bus neugierig an, während freundliche Krankenschwestern den Schwächsten hinaushalfen und der Busfahrer einen Ruhrkranken an den Straßengraben trug und ihm die Hose herunterzog. Askild, der einstmals groß und breitschultrig gewesen war, hatte sich in einen Muselmann verwandelt. Er wog ungefähr halb soviel wie damals, bei seinem großen Coup in Bergen, und eine Krankenschwester mit breiten Hüften nahm freundlich lächelnd seinen Arm und flüsterte irgend etwas auf schwedisch, das er nicht richtig verstand. Ihm wurde schwindlig bei der Berührung, aber dann riß er sich unvermittelt los. »Ich bin kein Kind«, zischte er und stakste aus dem Bus.
    »Achtung, Stufe!« rief die Krankenschwester, als Askilds Beine gefährlich unter ihm zu schwanken begannen. »Vorsichtig«, sagte sie noch, bevor er fiel. Niemand hörte den lautlosen Knacks, als sein linkes Bein direkt über dem Knöchel brach.
    Als sie endlich die Grenze nach Dänemark überquerten, schien die Welt verändert. Hier gab es keine Kriegswunden, keine zerbombten Städte, und jedesmal, wenn der Bus hielt, wurde er von einer jubelnden Menschenmenge umringt. Askild, dessen Bein mit Stoff- und Gazefetzen verbunden war, öffnete ein Fenster und bekam von einem Mädchen eine Rose in die Hand gesteckt. Sie bestand darauf, ihn auf die Wange küssen zu dürfen. »Für all unsere Helden«, flüsterte sie, während sie seine Hand nahm. Einen Augenblick später hatten drei junge Männer sie weggeschubst. »Wie ist es da unten?« wollten sie wissen. »Weshalb hast du gesessen?«
    Dank Graf Folke Bernadotte überlebte Großvater, entging den Todesmärschen in den allerletzten Tagen des Krieges und fuhr nun über den klaren, blauen Øresund. In Schweden sah die Landschaft allmählich so aus, daß er sich heimisch fühlen konnte, aber es dauerte noch einige weitere Wochen, bis der Krieg vorbei war. Askild wurde in Ramlösa einquartiert, wo er sein Bein pflegen konnte und in einem Saal für besonders schwache Gefangene aufgepäppelt wurde. Er hätte erleichtert sein müssen, aber er war es nicht. Statt dessen begann er zu träumen. Er träumte die Träume, die ihn den Rest seines Lebens quälen sollten. Er träumte von Herman Hemning, der den anderen Weg lief, nachdem sie gemeinsam aus dem Lager ausgebrochen waren. Es war Hermans entsetztes Gesicht, das Askild in seinen Alpträumen verfolgte. Nichts anderes. Nicht die Bluthunde, die am frühen Morgen den Baum bestürmten, auf den er bei seiner Flucht über eine ostdeutsche Ebene geklettert war. Nicht die uniformierten Gestalten, die fast über die Ebene schlenderten, da ihnen der entwichene Gefangene doch nicht mehr entkommen konnte. Einer von ihnen war SS -Rottenführer Meyer, der andere ein Gemeiner, den er nicht kannte. Es war auch nicht der

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