Hundsleben
Ösi-Autobahn in die falsche Richtung, um dann den Grenzübergang
Diepoldsau zu nehmen. Auch das hatten sie früher so gemacht, um das Chaos rund
um den See zu umfahren. Der Grenzer winkte ihn mit einer laschen Handbewegung
weiter. Der Mann hätte wahrscheinlich auch was anderes vorgehabt an diesem Tag.
Selbst die Seestraße auf der Schweizer Seite war leer, es dämmerte allmählich.
Nach zweieinhalb Stunden stand er bei Matte auf der
Dachterrasse. Das erste Ruppaner trank er in zwei Zügen. Für das zweite hatte
er mehr Zeit. Der Bodensee lag spiegelglatt, die Lichter am anderen Ufer
tanzten in Nebelbänken. Es war nicht sonderlich kalt, und so saßen sie in
Mattes Deckchairs und blickten ins Nichts. Im Schweigen war so viel Raum für
Gedanken, die aufzogen und wieder verschwanden. Sie verschwanden sanft und
unaufdringlich, Gerhard atmete tief durch. Mit dem dritten Ruppaner gingen sie
hinein. Matte hatte sich beim Italiener eine Platte zusammenstellen lassen: Salami, Mortadella, Mozzarella, Oliven, Parmesan, Taleggio, Carpaccio, Weißbrot
– Weihnachten war eigentlich gar nicht so übel!
Er hatte am 24. später am Abend Evi noch eine SMS geschickt: »Brauch mal ‘ne
Denkpause«, und Jo eine weitere: »Danke für die Einladung. Aber drei sind einer
zu viel.«
Nach diesen zwei Tagen mit Matte, die sie mit Trinken,
Reden, Reden und Trinken, Schweigen und Dösen verbracht hatten, fühlte er sich
frisch. Sie waren joggen gewesen am See, und sie hatten alte Scheiben gehört.
Scheiben aus Vinyl, die das Lagerfeuerknistern in ihren Rillen trugen. Matte
hatte fast die gleichen wie er. Sie alle waren Kinder des Pegasus, sie alle
hatten ihren Musikgeschmack Gino zu verdanken. Gino dem Alterslosen! Sie hatten
ihre Hymnen gehört: »Heroes« von David Bowie, »Julia« von Pavlov’s Dog,
natürlich Queens »Bohemian Rapsody« und dann Aphrodite’s Child, »The Four
Horsemen«:
»And when the lamb
Opened the first seal,
I saw the first Horse.
The Horseman held a bow.
Now when the lamb
Opened the second seal,
I saw the second Horse.
The Horseman held a sword.
The leading Horse is white,
The second Horse is red,
The third one is a black,
The last one is a green.
And when the lamb
Opened the third seal,
I saw the third Horse.
The Horseman had a balance.
Now when the lamb
Opened the fourth seal,
I saw the fourth Horse.
The Horseman was the Pest.«
Sie schwelgten in diesen Texten. Natürlich durfte
»Stairway to Heaven« von Led Zeppelin nicht fehlen, denn das war nun mal der
ultimative Büchsenöffner gewesen. Und wenn das nicht gefruchtet hatte, dann
hatte man mit »Nights in White Satin« von The Moody Blues ja noch einen
drauflegen können. Matte hatte lachend gemeint, dass er damals ungefähr so oft
über Sex nachgedacht hatte, wie er heute über Baustatik sinnierte. Und so oft
Sex gehabt hatte, wie er heute nächtelang über Plänen saß. Sie hatten noch zwei
alte Kumpels getroffen und gelacht über den Solistenklub. Alle vier waren sie
eigentlich hübsche Kerle, der Kripomann, der Informatiker, der Architekt und
der Internist. Der unbeweibte Solistenklub! Weil Frauen einfach zu viel Raum
beanspruchten, den sie alle vier nicht gewähren konnten. Nicht in ihren
Wohnungen und nicht in ihren Seelen.
DREIZEHN
Es war am 26. gegen Mittag, als Gerhard wieder in
Weilheim eintraf. Er fuhr direkt ins Büro und war ziemlich überrascht, dort Evi
und Melanie zu finden.
Er drückte Evi kurz, gab Melanie die Hand. »Mädels,
was macht ihr hier?«
»Wir haben uns nach all den Plätzchen gedacht, wir
entschlacken bei Büroarbeit.« Evi lachte. »Und da wir im Leben der Sandra
Angerer für den Moment nichts Spannendes gefunden haben, haben wir gedacht, wir
schnüffeln mal weiter im Leben der Frau Pfaffenbichler.«
»Aha«, sagte Gerhard nur.
»Ja.« Evi klang sehr aufgeräumt. »Melanie hat hier
ihre Kontobewegungen. Das ist schon sehr interessant.«
»Inwiefern?«
»Also, Frau Pfaffenbichler bezieht aus ihrem eigenen
Aktienfonds fünftausend Euro im Monat, die Mitgliedsbeiträge machen auf den
Monat gerechnet gerade mal fünfhundert Euro aus. Es gehen in unregelmäßigen
Abständen Summen von zehn bis tausend Euro ein, das sind Spenden, diese Spender
kann man nachvollziehen. Im Mittel – ich hab mir das mal in der Spanne eines
Jahres angesehen – hat der Verein im Monat achttausend Euro zur Verfügung«,
erklärte Melanie.
»Na ja, immerhin. Besser als in d’ Hosen g’schissen«,
sagte Gerhard.
»Ja
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