Hundsleben
zwei
unterschiedliche Attacken gewesen sind? Müssen die Hunde zwingend mit dem Mord
zu tun haben?«, fragte Evi.
Da reichte es Gerhard plötzlich. Er brüllte: »Ja, wenn
wir auch das noch für einen Zufall halten, dann können wir doch gleich
einpacken!« Im Radio whamte es wieder, und Gerhard schaffte es gerade noch, ein
»’tschuldigung, Evi« zu murmeln und so weit die Contenance zu bewahren, dass er
mit mühsam beherrschter Stimme fragen konnte: »Wie gehen wir jetzt weiter vor?«
Reiber zuckte die Schultern. »Heute ist der 24. Dezember, die Welt wird abtauchen in eine Orgie von Gänsebraten und Plätzchen,
benebelt von Schnaps mit Onkel Willi und Likörchen mit Oma Walburga. Ich bin
über die Feiertage personell extrem schlecht besetzt. Unter voller Flagge kann
ich erst wieder am 27. segeln. Oder sagen wir mal, auf Halbmast, denn die
meisten kommen erst am 2. Januar wieder.«
Evi nickte. »Gut, wir müssen weitere Nachbarn
befragen, Leute aus dem Umfeld von Sandra Angerer, die Mitarbeiter dieser
betreuten Einrichtung hatten wir ja bisher noch kaum im Visier. Wir brauchen
mehr Infos über Sandra Angerer. Freunde, Bekannte, Verwandte – wer ist ihr so
nah, dass er für sie so weit gehen würde, Hunde zu erhängen?«
Reiber überlegte. »Bisher haben Sie ja wohl nur
Menschen getroffen, die mehr oder weniger gesagt haben, dass sie Frau
Pfaffenbichler ums Eck bringen würden, aber diese Viecher ja nichts
dafürkönnten.«
»Ich würde mich darauf nicht verlassen«, meinte
Gerhard. »Wir haben Katzen, auf die mit dem Kleinkaliber geschossen wurde,
Hunde, die Fleisch mit U-Hakerl drin zu fressen bekamen. Ich hatte Pferde,
denen das Wasser vergiftet wurde, Irre, die Tiere aufschlitzen. Es gibt genug
liebende Nachbarn, die Pferdekoppeln einfach öffnen und in Kauf nehmen, dass
die Tiere auf die Straße laufen. So schon geschehen mit tödlichem Ausgang. Was
meinen Sie, was passiert, wenn Ihnen so ein Süddeutsches Kaltblut in die
Windschutzscheibe fliegt? Die Leute haben keine Hemmschwelle mehr. Der Hass
sitzt so tief!«
Es war eine Weile sehr still im Büro, bis Evi sagte: »Aber es muss jemand gewesen sein, der alles für sie getan hätte. Ihr Mann?«
»Der aber gar nicht da war!«, schnauzte Gerhard Evi
an. »Wir müssen sein Alibi nochmals prüfen!«
»Und auch er hat Kumpels, Freunde, raue
Fernfahrerburschen, die ihm wahrscheinlich gerne einen Gefallen täten. Es
erscheint mir auch wahrscheinlicher, dass ein Mann andere Männer findet, die
Hunde meucheln, als eine Frau.« Reiber sah Gerhard fragend an.
Der antwortete unwirscher als nötig. »Ja sicher. Wir
ziehen einen Joker aus der Kiste. Wenn sie es nicht war, dann war es ihr Mann.«
»Fällt Ihnen was Besseres ein, Weinzirl? Erinnern Sie
sich doch bitte, dass Sie meine Hinweise auf ›Gut Sternthaler‹ und
›Sternenhunde‹ abgetan haben. Sie haben sich doch auf Sandra Angerer
eingeschossen.« Auch Reiber war jetzt etwas zu laut.
Evi versuchte sich in der Rolle der Vermittlerin. »Das
bringt ja nun alles nichts. Ich würde vorschlagen, wir hocken uns alle mal vor
den Weihnachtsbaum, ermitteln, soweit das über die Feiertage möglich ist,
weiter und telefonieren uns am 27. zusammen. Oder sagen Sie, Herr Reiber, sind
Sie dann noch da?«
»Nein, sicher nicht. Ich fahre morgen, wobei ich das
Angebot von Johanna, heute auf die Christmas-Party zu kommen, gerne annehme. In
Berlin erwartet mich niemand. Sie kommen doch auch, Frau Straßgütl?«
Evi nickte und sagte dann in den Raum hinein: »Gerhard
kommt auch!«
»Nein, Gerhard kommt nicht! Frohes Fest!« Gerhard
packte seine Jacke, würgte sich noch einen Abschiedsgruß für Reiber heraus,
wollte in Kontakt bleiben, und weg war er. Er hatte es so satt! Er musste raus
hier. Einfach weg. Er landete in der Fußgängerzone.
Vor der Buchhandlung, dem Modeladen und gegenüber beim
Drogeriemarkt wurden die letzten Outdoor-Aufsteller ins Innere geschoben. Es
war kurz vor zwölf. Die Verkäuferinnen waren gezeichnet vom vierwöchigen
Marathon. Die Stadt leerte sich schnell, letzte Sehr-Spät-Einkäufer hasteten
dahin, über die zermanschten Herbstblätter, die immer noch in der Fußgängerzone
lagen, herangetragen von den Dezemberstürmen, die Weilheim auf der Hölle Regen
gebracht hatten, aber immer noch nicht den erhofften Schnee.
»Brauchen Sie noch was?«
In der Stimme der jungen Frau mit den dunklen
Augenringen lag Verzweiflung. Gerhard schüttelte den Kopf. Er brauchte ein
bisschen Schlaf und ein
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