Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hundsleben

Hundsleben

Titel: Hundsleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Förg
Vom Netzwerk:
größere auch. Aber es war ja immer gut ausgegangen. Er schenkte Evi ein
bezauberndes Lächeln. »Evi, wirklich, kein Alleingang. Ich verspreche es.
Indianerehrenwort!« Stimmte ja auch. Er war nicht allein. Reiber war dabei, der
Mann, den alle so gut fanden.
    »Ach, ich pfeif auf deine Rothaut-Worte. Lass
wenigstens dein Handy an!«
    Und damit stampfte sie wutentbrannt von dannen, was
bei der zierlichen Fünfundfünfzig-Kilo-Evi eher belustigend wirkte.
    Als er zu Hause war, warf Gerhard ein paar Sachen in
einen Rucksack. Da war es ja auch Winter, oder? Gerhard merkte, dass Rumänien
wirklich Terra incognita für ihn war. Rumänien, klar, da gab es doch auch
Berge, wo Dracula wohnte!
    Weil Gerhard zwar nichts über Rumänien wusste, aber
viel über die Deutsche Bahn, kalkulierte er Zeit ein. Viel Zeit. Und das war
weise. Denn schon in Tutzing gab es ein Problem, das ihnen zehn Minuten
Verspätung einbrachte. Die Dame mit Ossi-Zungenschlag konnte über Lautsprecher
auch nicht sagen, warum sie hier festhingen. Folglich konnte er in Pasing erst
eine Flughafen-S-Bahn später nehmen. Oder besser: Er wollte sie entern. Denn
wie immer im winterlichen München gingen die Türen nicht auf, nach ewigem Geziehe
und Gezerre startete dann auch diese Bahn deutlich zu spät. Bis er im schicken
Terminal 2 ankam, hatte er zu tun, den Flieger zu erwischen. Zumal er bei der
Sicherheitskontrolle einen halben Strip hinlegen musste. Gürtel runter, Stiefel
auch, und dann hatte er noch zwei verschiedene Socken an: eine in Blau, eine in
Braun.
    Reiber traf er in Bukarest am Gepäckband. Die Flieger
waren fast zeitgleich gelandet. Und als sie nach draußen gingen, stand da schon
ein junger Mann, der ein Schild vor seine Brust gepresst hielt. »Herr Reiber«
stand da in schwungvollen Lettern. Er stellte sich als Mihnea vor, Inhaber
eines Reisebüros und einzig abkommandiert, die beiden abzuholen und in die
Stadt zu fahren. Er sprach ein nahezu akzentfreies Deutsch und verwendete Wörter,
die niemals zu Gerhards aktivem Sprachschatz gezählt hatten. Altertümliche
Wörter, die Sachverhalte perfekt trafen, allein man hatte sie heute gegen
Anglizismen ausgetauscht.
    »Bisweilen nenne ich das Vergnügen mein Eigen,
Mitgliedern der Polizei die Kleinodien unserer Stadt zeigen zu dürfen. Hatten
Sie einen angenehmen Flug, oder ist Ihnen gar ein wenig blümerant?«
    Reiber verneinte jede Blümeranz, bedankte sich für den
Empfang, und sie setzten sich in einen französischen Wagen, nix mit Dacia. Sie
verließen den Flughafen und tauchten augenblicklich ein in eine gewaltige
Riesenbaustelle. An der Einfallstraße in die Stadt reihten sich die Super- und
Baumärkte: Praktiker und Kaufland – omnipräsent. Outlet-Stores, mal halb
fertig, mal brandneu, und dazwischen letzte Brachflächen, wo mal eine einzige
Kuh neben einer windschiefen Hütte stand und missmutig in Richtung der
Supermärkte starrte, mal eine Sau im Schlamm herumrüsselte. Allmählich
erreichten sie das Stadtgebiet, passierten einen Triumphbogen, irgendwo
vibrierte ein Presslufthammer. Und auf einmal war Gerhard hellwach, hier
vibrierte mehr als nur ein Presslufthammer. Es lag etwas in der Luft, Aufbruch,
Energie – gefährlich und verführerisch zugleich.
    An einer Ampel klopften ein paar Kinder laut an die
Scheibe, Mihnea ließ die Scheibe herunter, zischte ein paar Worte und sagte
dann: »Um das zu verstehen, muss man wissen, dass Ceauşescu den Kinderreichtum
förderte und es so keine Rarität war, dass Sinti und Roma mit zwölf bis zwanzig
Kindern gesegnet waren. Das Problem entstand eigentlich erst in der erzwungenen
Sesshaftigkeit, denn in Ermangelung traditioneller Gelegenheitsarbeiten wurden
die Finger länger. Aber in Rumänien ist es immer schon gelungen,
unterschiedliche Nationalitäten, Sprachen und Religionen unter einen Hut zu
bekommen. Wir arbeiten auf der Baustelle unserer Zukunft.«
    Gerhard, der hinten saß, blickte auf den Hinterkopf
des Fahrers. Auf einmal wusste er, dass diese Generation von Mihnea, hoch
gebildete junge Leute Ende zwanzig, Anfang dreißig, mehrsprachig, in Europa
gereist, in Rumänien geerdet, ein Schwungrad waren. Mihnea sprach in einem so
fein ziselierten Deutsch und verwendete die Worte so sorgsam, dass Gerhard
jeder Kommentar auf der Zunge erstarb. Dass er spürte, wie satt man in seinem
Land war, wie satt er selbst war und dass er nie – auch nicht als junger Mensch
– wirklich aktiv an seiner Zukunft gearbeitet hatte.
    Sie hatten das

Weitere Kostenlose Bücher