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Hundstage

Hundstage

Titel: Hundstage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Hause wurde er von den Hunden begrüßt, und dann sah er auf dem Fußboden einen Zettel liegen:

    Erika tot!
Polizei war da.

    A m selbstgedeckten Frühstückstisch – warum soll man sein Frühstück nicht mal selber machen? –, ohne Ei und ohne Brötchen – müssen es denn immer Brötchen sein, wo schließlich die ganze Dritte Welt hungert, und das Weizenmehl ist gar nicht gesund? – am Frühstückstisch, bei weggeschmolzener Butter und angetrockneter Marmelade, und aus der Teekanne kriecht ein Ohrenkneifer, da empfing der Frühstückskönig die Neuigkeit brühwarm: In grün-und rotseidenen Boxershorts, an der Seite aufgeschlitzt, standen die Mädchen neben ihm und erzählten, einander ins Wort fallend, Erika sei tot, möglicherweise verunglückt, wahrscheinlich sogar ermordet! Im Torfabbaugebiet der Firma Senneschalk habe man sie gefunden, in einem Wassergraben liegend.

    Wie immer in solchen Fällen wurde überlegt, wann man die Tote zuletzt lebend gesehen hat. Beim Brand des «Fron-Hus» hatte sie im Apfelbaum gesessen und den Schulmeister ausgeätscht. Aber, ermordet! Und ausgerechnet Erika?

    Was den Wassergraben anging, da erinnerte man sich an das eigene Abenteuer im Moor, wie Doris in den Graben gefallen war und wie verflixt schwer es ist, aus so einem Graben wieder herauszukommen.

    Es wurde auch gesagt: Schade! Und die Mühe wurde hervorgehoben, die Sowtschick sich mit dem Kind gegeben hatte. «Ich seh sie noch durch den Garten eiern …»

    Und Polizei hatte sich angesagt? Vielleicht mutmaßten diese Leute, daß er vom Dachfenster aus etwas beobachtet hätte? Jemanden vorbeigehen sehen, oder Schreie gehört? Aber dafür war das Moor doch viel zu weit entfernt …

    Nun, wie auch immer, man würde die Dinge an sich herankommen lassen.

    Im Lokalteil der Zeitung stand es dick gedruckt: «In Sassenholz Mädchen ermordet». Und: «Die Polizei steht vor einem Rätsel!» Die Meldung war lakonisch, offensichtlich kurz vor Redaktionsschluß hereingegeben, wahrscheinlich hatte man die «Einkaufstips für die Hausfrau» deswegen zusammengestrichen.

    Gegen zehn Uhr, als Sowtschick eben sein Frühstücksgeschirr in die übervolle Küche trug – warum soll man das nicht mal selber machen, ist ein Mann etwa was Besonderes? – , knirschte draußen ein Auto über den Kies. Aha, da sind sie, dachte Sowtschick, die Hüter des Gesetzes, und er knöpfte das Hemd zu. Aber es war nicht die Mordkommission mit Indizienkoffer, Blitzlicht und Markierkreide, es war Ewald Hoenisch, ein kleiner drahtiger Fernsehmensch, happy go lucky, der, wie hatte man das vergessen können!, heute kommen wollte, um mit Sowtschick zusammen an einem Fernsehkrimi zu schreiben. Um Gottes willen! Da wäre man ja um ein Haar nicht dagewesen! So was passiert eben, wenn man nicht dauernd in den Terminkalender guckt.

    In Begleitung einer jungen Frau, die eine pludrige Bluse und pludrige schwarze Hosen trug, dazu mittelamerikanische Sandalen aus Autoreifen, trat der stark behaarte Hoenisch in die Halle, nahm Sowtschick nach Russenart in die Arme und sagte schlicht: «Ich grüße dich. Wie geht es dir?»

    Danach redeten beide gleichzeitig. Sowtschick sagte, daß hier ein Mord passiert sei, und Hoenisch erklärte, daß er schon seit vierzehn Tagen nicht mehr raucht, er fühle sich ganz anders. Und: Ein Mord? Richtig mit – ? (Er schnitt sich mit dem Finger die Gurgel durch.) «Ertränkt! Ein Mädchen! Du kennst sie! Erinnere dich, die ist uns Pfingsten doch immer so auf den Wecker gegangen …»

    Dem Regisseur dämmerte es. Das kleine X-beinige Ding mit der Brille? Ja, natürlich, ja, richtig. Der «Sozialfall» … Immer so rumgequakt und ans Fenster geklopft!

    «Sozialfall?» fragte die pludrige Begleiterin, die Anita Läuffer hieß, «wie soll ich das verstehn?»

    Ihr wurde erklärt, daß Sowtschick dieses Mädchen «Sozialfall» genannt habe, obwohl das eigentlich nicht geht, aber irgendwie doch, dadurch würden nämlich ganz makaber die beschissenen Verhältnisse aufgezeigt, in denen diese Leute in der Bundesrepublik leben müssen, Almosen kriegen von Spießern, herumgestoßen, diskriminiert und so weiter …

    Hoenisch hatte es ebenfalls schon erlebt, daß in seiner näheren Umgebung jemand ermordet worden war. Eine Boutiquen-Besitzerin, mit einem Hammer, schrecklich. Und merkwürdigerweise hinterher noch vergewaltigt oder mißbraucht, wie man wohl besser sagen mußte, obwohl über siebzig und in totem Zustand.

    Nachdem Sowtschick auch noch

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