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Hundstage

Hundstage

Titel: Hundstage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Menschen reden.

    Sehgras trat mit den Schwestern hinaus in den Garten, wo Rebecca, so alt sie auch war, inzwischen auf der Schaukel hin-und herwehte, von Petra angeschubst. Ihre Gesichtsfarbe spielte an diesem Tag, durchaus orientalisch, ins Grünliche, und ihr Haar war zum Pferdeschwanz zusammengefaßt.

    Im Garten waren ebenfalls Blumen zu betrachten. Und: Warum sollte er nicht auch mal schaukeln? dachte der Pastor, dagegen war doch absolut nichts einzuwenden? Und er stoppte Rebecca und setzte sich mit seinen hundertachtzig Pfund in die Schaukel, die eigentlich für Kinder gemacht war.

    Schlecht von den Menschen reden? sagte Sowtschick zu seiner Frau, und er beschrieb die Rolle des Pastors, daß der bei der Polizei ausgesagt habe, Erika sei quasi freigehalten worden von ihm, jede Menge Eis und so weiter. Er rede nicht schlecht von den Menschen, er registriere nur Tatsachen, und die hätten sich ihm eingebrannt auf ewig. Und dabei sah er hinaus in den Garten, wo der Apostel gerade die Schaukel in Gang setzte: Daß das Christsein auch immer eine Im-Leben-Stehung beinhalte, sollte das wohl bedeuten, und Sowtschick hatte Angst um die Haken, ob die den Riesenkerl auch aushielten.

    «Laß dir ruhig Zeit, Liebes», sagte er, das Auflegen des Hörers einleitend, «und geh tüchtig essen!»

    Sowtschick blieb noch einen Moment sitzen, er wunderte sich, daß es möglich gewesen war, er hier – sie dort, aus einer solchen Entfernung, über den Rhein hinweg, über Campingplätze und Städte, über romanische Kirchen mit geköpften Skulpturen, mit seiner Frau zu sprechen. Und er war einen Augenblick versucht, irgendeine x-beliebige fünf Zentimeter lange Nummer in Bangkok anzurufen, zu warten, wer dort an den Apparat geht, und durch das Rauschen des Äthers hindurch das «Hallo? Ist da wer?» zu vernehmen: «Do you have any petrol?» müßte man den fragen, und der faßt sich dann an den Kopf, ob er noch normal ist. Das tat Alexander nun nicht, sondern er ging hinaus und stellte sich zu den Mädchen, die um den schaukelnden Seelsorger herumstanden. Unter dessen Gewicht ächzten die Haken.

    «Wie weit er wohl fliegt, wenn der Haken bricht», flüsterte Sowtschick den Mädchen zu. «Meinen Sie wirklich, lieber Herr Pastor, daß die Schaukel das auf die Dauer aushält?» sagte er laut, und der Pastor hielt augenblicklich inne.

    Eine Runde durch den Garten schloß sich an, die die Möglichkeit ergab, den Besuch des Pastors dadurch zu beenden, daß er ihn in die Nähe des Tores bugsierte. Die fetten, überdüngten Dahlien konnten besichtigt werden, von Bienen und Hummeln wie rasend besucht. Auch große braune Schmetterlinge mit Augen auf den Flügeln.

    Schaurig der Gedanke, daß diese ganze schöne Natur nun mit Cäsium verstrahlt ist, sagte der Pastor. Er traue sich nicht einmal mehr, an einer Blume zu riechen.

    Die Disteln, auf denen Sowtschick ganz automatisch den Hacken drehte, verglich der Pastor mit der Dornenkrone, deren drei Ranken contritio, confessio und satisfactio bedeuteten. Er wollte überleiten auf die Schuldfrage, ob Sowtschick nicht mal eine Gewissenserforschung betreiben wolle, da zog ein kleiner himmelblauer Falter die Aufmerksamkeit beider auf sich. Pastor Sehgras wußte, daß das ein Bläuling ist, aber Sowtschick dachte: Nein. Das ist die kleine Erika, die uns einen letzten Gruß sendet.

    Sowtschick setzte gerade an, dem Pastor mitzuteilen, daß er den beiden Feuerwehrleuten eine Belohnung von einhundert Mark zukommen zu lassen gedenke, ob das nicht über die Kirche zu machen geht, als Spende, damit er das von der Steuer absetzen kann, da geschah es: Pferdegetrappel war zu hören, Sabine, das schwarzhaarige Pferdemädchen kam angaloppiert. Sie rief schon von weitem und gestikulierte und zeigte zum Wald. Die beiden Männer hielten das für überschäumendes Temperament, aber dem war nicht so: «Im Wald!» schrie das Mädchen. «Er hat Rita! Er macht Rita tot!» Sie wendete das Tier Shilo-Ranch-artig, und schon war sie auf und davon in Richtung Dorf, und allen, denen sie begegnete, schrie sie zu: «Er macht Rita tot! Im Moor!»

    Da kannten auch Sowtschick und sein Gast kein Halten mehr. Sie stürzten an die Straße, um dem Mädchen nachzusehen. Dann liefen sie, geführt von Sowtschick, zum Telefon. Die Nummer 110 wurde gewählt, und es meldete sich auch ziemlich sofort die Polizei.

    «Wir sind schon unterwejens.»

    Draußen knatterten Trecker mit Höchstgeschwindigkeit in Richtung Wald, von Sabine

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