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Hundstage

Hundstage

Titel: Hundstage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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galoppierend angeführt, und Sowtschick und die Seinen sprangen in den obersten Stock, wo die Handwerker, die gerade die schwere Zellentür einbauten, bereits Ausschau hielten. Sie wurden vom Löwenheckerchen mit ernsten Gesten an die Arbeit geschickt: Die Sache mit der Disko war noch unvergessen.

    In Gruppen postierten sich Sowtschick und der Pastor mit den vier Mädchen an den Fenstern, pro Gruppe ein Fernglas. Mit Sowtschick gemeinsam drückten sich Rebecca und Petra in die Dachschräge, drüben taten das der Pastor und die Schwestern. Sie suchten mit den Gläsern den Waldrand ab, und Sowtschick freute sich, daß sein Gast da drüben nun auch so angenehme Nähe zu spüren bekäme wie er, die sich jetzt sogar ein wenig an ihm rieb.

    Sowtschick sah ihn zuerst, den Trecker mit dem Milchkannenanhänger, auf dem Schlängelweg vom Wald herkommend, von Sabine auf dem Pferd umtänzelt: «Hierher!» schrie Sowtschick aus seiner Nische dem Pastor zu, der sofort gerannt kam mit den Schwestern, und abwechselnd sahen sie durchs Glas, mal der eine, mal der andere: «Ich sehe nichts!» Der Trecker kam näher, von anderen Treckern gefolgt – «da, da, da, da!» –, und auf dem Milchkannenanhänger war ein Mann zu erkennen – es war Klaussi –, der auf einen anderen unter ihm liegenden wieder und wieder einhieb.

    Nun war die Polizeisirene zu hören, rasch näher kommend. Quietschend wurde bei den Treckern gehalten. Das Bündel Mensch wurde vom Milchkannenanhänger gestoßen: Das war also der Unhold, der sich an Mädchen vergriff, die harmlos im Wald spazierengingen. Einen Augenblick dachte, ja hoffte Sowtschick, daß es sich vielleicht um Budweis den Jäger handele, aber es war nicht Budweis, es war der Schulmeister, das konnte man jetzt erkennen, mit hochstehenden Haaren und aufgerissener Hemdbrust. Pensionär der Besoldungsgruppe A 13, Sammler von Dreschflegeln, Naturfreund und Verfasser des Buches: «De Düwel in de Föör un annere Vertellsel», von den Schulkindern «Schinder» genannt. Die Polizisten zerrten ihn ins Auto und rasten davon. Tatü! Nun hätten sie ja eigentlich auch langsamer fahren können.

    Was war geschehen? Nach wenigen Minuten kam auch das andere Pferdemädchen in Sicht, Rita, bis zur Hälfte naß von Torfwasser. Sie taumelte, von einer Bauersfrau geleitet, weinend aus dem Wald: Sowtschick und die Seinen stürmten ihr entgegen und hörten sich an, was sie zu erzählen hatte: Der Schulmeister hatte sie gestoppt: was sie hier im Wald zu suchen hat!, und geifernd vom Rad gerissen und in den Torfgraben gestoßen, das war zu erfahren, in den nämlichen Torfgraben, in dem auch Erika zugrunde gegangen war. Der Haß auf Jugend hatte ihn hingerissen und die Liebe zur Natur!

    Gut, daß Dr. Schmauser in diesem Augenblick des Weges kam. Er stieg aus seinem Golf heraus und fühlte dem Mädchen den Puls. Hier wäre eine Beruhigungsspritze wohl angebracht. Er nahm das Kind in sein Auto und fuhr es nach Hause. Die Zurückbleibenden diskutierten gestenreich: Der Schulmeister! Durchgedreht oder wie oder was? «Ungeheuerlich! », das war die Meinung aller Beobachter, und sie sagten: «Ungeheuerlich.» Daß dieser Mensch sich nicht schämt! Und: Daß man darauf nicht schon eher gekommen war … Der war doch dauernd durch den Wald gestreift, hatte die Kinder vom Baggersee weggejagt …

    Die Handwerker legten eine Frühstückspause ein. Sie erzählten von dem «Schinder», daß der sie alle der Reihe nach jede Woche durchgeprügelt habe. Als ob er nicht alle Tassen im Schrank hat, so sei er ihnen vorgekommen. Sie hätten selbst die Haselnußgerten schneiden müssen, mit denen er ihnen dann vorzugsweise in die Kniekehlen geschlagen habe!

    Hier wurde das strenge Löwenheckerchen weich, und auch in Adelheid keimte etwas wie Verständnis für die beiden Handwerker. Daß die so hatten leiden müssen! Und schon brachten sie ihnen Bier um Bier, was die angenehme Folge hatte, daß endlich die Schlager ausgestellt wurden.

    Beruhigend war, daß ein Hubschrauber in Richtung Wald unterwegs war. Er mochte zwar mit der ganzen Sache nichts zu tun haben, aber es war wie eine Gotteshand, die alles wiedergutmacht.

    Der Pastor aber eilte zu seiner Frau zurück: Wer konnte denn wissen, was noch alles passiert.

    H undstage – irgendwann gibt es in jedem Sommer diesen Tag, von dem man weiß, dies ist der Sommertag an sich, an den werde ich noch lange denken. Für die Hitze, die über den Feldern steht, hat man das Wörtchen «Glast»

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